Wenig grandioses Scheitern

Es ist bestimmt zumindest eine permanente Gratwanderung, zugleich katholisch gläubig zu sein und Philosoph sein zu wollen. Jedenfalls wird das auf recht umständliche Weise in der großen Studie ersichtlich, die der kanadische Katholik und Philosoph Charles Taylor unter dem Titel Ein säkulares Zeitalter veröffentlicht hat.

Taylor möchte ein weiteres Mal erklären, wie es kam, dass dieser Welt Gott abhandengekommen ist:

Warum war es in unserer abendländischen Gesellschaft beispielsweise im Jahre 1500 praktisch unmöglich, nicht an Gott zu glauben, während es im Jahre 2000 vielen von uns nicht nur leichtfällt, sondern geradezu unumgänglich vorkommt?

Ziel des Manövers ist es jedoch, nicht zu erklären, sondern zu retten, was noch zu retten ist – aus Sicht des gläubigen Menschen und Katholiken Taylor kann der von ihm so genannte ausgrenzende Humanismus nicht die ganze Geschichte sein:

Dennoch kann sich dieses christliche Bewusstsein nicht dem ausgrenzenden Humanismus anschließen und das menschliche Gedeihen zu seinem einzigen Ziel erklären. Es hat eben doch Sinn, alles aufzugeben, sofern man dazu beitragen kann, den Bruch mit Gott zu heilen.

Es hat aber natürlich überhaupt keinen Sinn, auf dieser Ebene diskutieren zu wollen. Es ist schwer, eingebildete Wunden zu heilen. Taylor rührt dazu eine Medizin an, die nicht jedermanns Sache ist.

Für die Erklärungsstrategie, warum in den letzten 500 Jahren der Glaube bei uns dermaßen aus der Welt gefallen ist, könnte man die übliche Theorie heranziehen: schlaue und mutige Geister haben Wissenschaften getrieben und dabei nach und nach entdeckt, dass man für das meiste keinen Gott und keinen Hokuspokus braucht, um es zu erklären, während parallel dazu die offiziellen Vertreter der herrschenden Religion (in Gestalt von katholischer und mehreren protestantischen Kirchen) alles getan haben, ihre moralische Autorität höchstselbst zu untergraben.

In den Augen Taylors ist das eine Subtraktionstheorie, die er gar nicht gern gelten lassen möchte. Eine Erklärung, warum nicht, bleibt er allerdings schuldig.

Im Anschluss an andere, z.B. den Jesuiten Michael Buckley (At the Origins of Modern Atheism), geht er davon aus, dass nicht die Wissenschaft zum Atheismus geführt habe, sondern dass vielmehr die hektischen Versuche von allerhand Theologen, religiöse Dogmen und Gott selbst quasi wissenschaftlich zu beweisen, zum Totalabsturz geführt hätten. Was zweifelsohne für sich betrachtet Sinn ergibt, denn die Abstrusitäten der Scholastik sind einer von zwei Gründen, warum die Renaissance ihren bekannten Weg nehmen konnte, ja musste – der andere ist das Wiederauftauchen antiker Texte in einer Gesellschaft, die sich gerade anschickte, so etwas wie zivile Ausprägungen hervor zu bringen.

Sein eigener Ansatz ist aber nicht wirklich geistreicher: Taylor geht davon aus, dass es für die Veränderungen im Sozialen und im Wissen zuvor Veränderungen des mindset gegeben haben müsse, jener Sphäre, die er soziale Vorstellungsschemata nennt.

Das scheint nun aber eher ein Henne-Ei-Problem zu sein. Die Vorstellung, etwas könne erst dann gedacht werden, wenn es in der umgebenden Gesellschaft in den Bereich des Denkbaren aufgestiegen wäre, ist gar zu mystisch. Vor allem erklärt sie ihrerseits nicht, wie das Denkbarwerden eigentlich von statten geht.

Was Taylor einfach nicht sehen will: einer der Hauptgründe, warum das Christentum im nordatlantischen Westen so stark an Bedeutung verloren hat, war seine übertriebene Bedeutung im Mittelalter, ausgedrückt in einer korrumpierten, brutalen, verlogenen und – das ist, wenn Menschen im Spiel sind, niemals außer Acht zu lassen – zutiefst lächerlichen Diktatur. Taylor beschwört demgegenüber eine geradezu idyllische verzauberte Welt mit weißer und schwarzer Magie, Dämonen und Teufeln und dem einen guten Herrgott, der die Gläubigen davor bewahren möchte, zur Hölle zu fahren.

Damit hält Taylor die Menschen des Mittelalters nicht nur im Durchschnitt sondern gerade in ihren schlausten Exponenten schlicht für dumm. Doch es liegt gar nicht an den Menschen, an irgendwelchen geistigen Eliten – es liegt an den religiösen Obrigkeiten.

So eine Obrigkeit baut nach und nach einen geistigen Gegenentwurf auf, ohne das zu beabsichtigen: alles, was sie predigt, alle Inhalte ihrer Propaganda, werden vor dem Hintergrund der realen Welt zu Selbstanklagen; es gibt immer Leute, die nicht so dumm sind, das nicht zu sehen. Was gibt es Erbaulicheres als einen wahrhaft feisten Bischof, der zur Fastenzeit predigt? wir müssen da nicht erst ein Bild von Kurt Krenn evozieren, der sich dabei vor laufenden Kameras ablichten ließ. Solche Selbstdenunziationen sind nicht unsichtbar zu machen, selbst wenn der Bischof früher seine Prügelkohorte dabei hatte.

Das hohle Gerede der Mächtigen höhlt ihre eigene Macht aus.

Auch ist es nicht wahr, dass abweichende religiöse Meinungen nicht denkbar gewesen wären; Häresien hat es immer gegeben, sie sind ja auch nichts anderes als Verurteilung des einen durch den anderen; ein Blick in die Geschichte des Atheismus von Georges Minois zeigt auf jeden Fall, dass sowohl Antike als auch Mittelalter ihre Atheisten hatten.

Man muss zudem in Rechnung stellen, dass es bei einer derart komplexen Idiotie wie dem christlichen Glauben von vornherein keine einleuchtende einzige Fassung geben kann; es hat daher immer, seit den Christen in irgendeiner Form weltliche Macht zu Gebote stand, Auseinandersetzungen, Unterdrückung und ein künstliches Glattbügeln der krausen Glaubenswelt gegeben. Die Frage ist vielmehr, auf welche äußeren Bedingungen Zwingli, Luther und Calvin trafen, dass sie nicht wie Jan Hus auf dem Scheiterhaufen enden mussten.

Sobald aber eine abweichende Meinung sich zu etablieren vermag, und je mehr diese Meinungen einander verteufeln, desto rascher treten steigende Grade von Relativierung ins Feld: kann man über etwas geteilter Meinung sein, so braucht es ein übergeordnetes Drittes, von dem aus die Wahrheit einzig beurteilbar wäre. Das Ringen um Wahrheit ist aber dann automatisch der Tod der Religion, erst recht, wenn sie sich bemüht, dieses übergeordnete Dritte zu vereinnahmen – siehe Gottesbeweis.

Die zwangsläufige Folge aus der fortschreitenden Relativierung ist es, dass die strittigen Positionen genauso gut ganz aufgegeben werden können.

Ist es das, was Taylor in seinem Versuch, die Hintergründe zu klären, schildert? Nicht wirklich. Dafür steht für ihn zu viel auf dem Spiel. Man kann daher Das säkulare Zeitalter als melancholischen Abgesang auf den Glauben lesen. So man damit weniger sympathisiert, kann man sich den Teil V, betitelt Bedingungen des Glaubens, und damit die letzten 380 Seiten der umfangreichen Studie, getrost schenken.

Aber auch die vorangehenden 900 Seiten sind recht mühsam; dass Taylor uns immer wieder in theologische Debatten zwingt, ist wenig zielführend, da wir ja schon wissen, wo wir am Ende heraus kommen werden. Insofern macht Taylor sich eines Verstoßes gegen jenes Gebot schuldig, das Ernst Tugendhat die intellektuelle Redlichkeit genannt hat.

Da ihm weder in der Wissenschaft noch in der Philosophie geeignetes Material zu Gebote steht, weicht Taylor schließlich in die Poesie und in Bereiche der erbaulichen Literatur aus, um die gesuchten Bedingungen des Glaubens aufzuspüren. In dieser Hinsicht ist sein Projekt wohl gescheitert, denn unter den Bedingungen des Denkens ist der Glaube nicht mehr zu halten.

Beinahe schon possierlich ist der Eiertanz, den Taylor zu tanzen gezwungen ist, wenn es um eine Abgrenzung zu fundamentalen Glaubensrichtungen in den USA geht. Als geschulter Philosoph kann er sich diesem manifesten Unsinn natürlich nicht anschließen, den anderen Weg kann und will er jedoch auch nicht weiter gehen, da ihm sein Glaube da gefährdet scheint. Denn es wäre der Schritt zum Eingeständnis von Irrationalität – siehe jedenfalls, was Ernst Tugendhat unter dem Stichwort Intellektuelle Redlichkeit dazu zu sagen hat.

Im Grunde kann man gläubigen Menschen heutzutage wohl nur ein Entweder-Oder anbieten: entweder sie lassen die Finger von dem Versuch, ihren Glauben zu rationalisieren, oder sie geben ihn auf. Denken und Glauben sind nicht vereinbar, die als Ausweg viel gepriesene Sphäre der Mystik birgt keine Auflösung des Dilemmas, da sie einseitig das Denken negiert. Und dort, wo sie behauptet, just das nicht zu tun, spottet sie des Denkers.

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