Ein Jahrhundert Streichquartett

Unbestreitbar ist das Streichquartett die am höchsten konzentrierte Form musikalischen Ausdrucks. Zwischen den vier Musikern vermag sich kein Makel hinter Pomp und Klang oder Schmiss und Schwung zu verstecken; die minimale Besetzung zwingt zum analytischen Hören.

Dass die komprimierte Form umgekehrt den Komponisten zur analytischen Zergliederung des Musik- oder gar Klangerzeugungsprozesses zwinge, ist hingegen eine Eskalation der Gegenwart. Streichquartette der Neuen Musik tendieren dazu, das Musizieren des Quartetts aus der Aufeinanderbezogenheit des intimen Kreises in eine exogene Theoriebezogenheit zu verwandeln. Kurz gesagt: die meisten Streichquartette unserer Tage sind Auflösungserscheinungen.

Wie könnte man das besser demonstriert bekommen als in einer Konfrontation extremer neuer Musik mit einem späten Altmeister des Genres?

Des Amerikaners George Crumb elektrisch verstärktes Streichquartett Black Angels for Electric Quartet „Images I“ / Thirteen Images from the Dark Land kann als Höhepunkt der Suche nach einer neuen Formensprache und der Einbeziehung einer gewandelten Realität in die klassische Form angesehen werden, stammt aber auch schon aus dem Jahre 1970 – und das liegt immerhin im ersten Lebensjahr eines heute schaffenden Komponisten wie Bernhard Gander…

Einen anderen Weg beschreitet Elliott Carter in seinem Streichquartett Nr. 5 von 1995: er löst jegliches Zusammenspiel der Musiker vollends auf. Geiger Sibbi Bernhardsson bringt es in seinen einleitenden Worten auf den Punkt:

Normalerweise proben wir bei einem Streichquartett intensiv und lange das möglichst exakte Zusammenspiel; bei Elliott Carters Streichquartett Nummer fünf mussten wir intensiv und lange proben, möglichst exakt nicht zusammen zu spielen.

Zu diesen Werken kontrastiert das leichtfüßig einher schreitende, aber dennoch von einer raffinierten Konstruktion und musikalischen Eleganz getragene 12. Streichquartett von Antonín Dvorák von 1893, sein Amerikanische Quartett in F-Dur op. 96. Bei Dvorák wird in klassischen Geist aufeinander bezogen musiziert. Bei ihm weisen Pentatonik und synkopierte Rhythmen – was beides gemeinhin als amerikanisch gekennzeichnet wird, jedoch auch durchaus eine Wurzel in der tschechischen Volksmusik haben könnte, wie auch das melodische Material des Quartetts so amerikanisch gar nicht ist – in die Zukunft, die Ensemblestruktur bleibt jedoch unangestastet.

Das Pacifica Quartett hat sich Zeit seiner Existenz – und die begann 1994 in Illinois – intensiv neuester Musik gewidmet, sich eine hohe Kompetenz erarbeitet, die in einer engen Zusammenarbeit mit dem Komponisten Elliott Carter resultiert sowie einer Gesamtaufnahme von dessen Quartetten.

Der Abend bietet einen fokussierten Blick auf ein Jahrhundert Streichquartett anhand einer Auswahl bester Stücke, auf eine Entwicklung, die stürmischer nicht sein könnte – zugleich unter Ausblendung jener modernen Tendenzen, die in der Musik weniger das Musizieren als das Vergegenwärtigen aussermusikalischer Konzepte sehen, was ich als Glück für diesen gelungenen Abend bezeichnen möchte.

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