Der fröhliche Urstand im Schlossgraben

Steyr. Nicht alles, was in der Provinz von statten geht, ist allein aus geografischen Gründen schon provinziell. Das Musikfestival Steyr jedoch tut sein möglichstes, derlei Vorurteile als wohl-erworbene zu bekräftigen.

Was 2005 bei der Mozart’schen Zauberflöte noch im Lieblich-Verspielten des Werkes untergehen mochte, erweist sich bei der diesjährigen Carmen jedoch als fatal: hier werkt ein operetten-seliges Lead-Team mit einem nicht minder vorbelasteten Ensemble – und bringt einen Bizet auf die Bühne, der in erster Linie weh tut.

Man geht schmissig zu Werk, als käme es allein darauf an, die Gassenhauer unters Volk zu schmettern. Natürlich hat Bizet selber diese unzweifelhaft auch breitenwirksamen Erfolge komponiert. Und natürlich freuen sich die gemeine Frau und der gemeine Mann im Steyrer Schlossgraben aufrichtig, dass ihnen das alles bekannt vorkommt. Aber allein, dass man heutzutage noch „Auf in den Kampf, Torrero“ von einer Bühne herab schmettern kann, erinnert mehr ans Wunschkonzert im Regionalradio denn an eine Opernaufführung.

Ich will es nicht verhehlen: ich habe es nicht für möglich gehalten, dass irgendjemand irgendwo noch eine Oper nicht in Originalsprache auf die Bühne bringen könnte. Dabei scheine ich geflissentlich übersehen zu haben, dass das ja an der Volksoper – von diversen Landestheatern gar nicht erst zu reden – beständige Übung ist. Und etliche aus dem Ensemble der Sänger kommen auch von dort oder haben ein Naheverhältnis dorthin. Ich darf also nicht sagen, ich kätte nicht gewarnt sein können!

Nun stellt ja die Volksoper bisweilen recht ordentliche Produktionen auf: Krenek’s Kehraus in Sankt Stephan oder vor einigen Saisonen Puccinis Turandot. Es scheint aber einen eingesessenen Verein von künstlerischen Hintersassen zu geben, die Operette großartig finden und vor allem solche, die sich bloß seit sechzig Jahren nicht verändert haben darf. Ein Propagator dieser Haltung ist Kammersänger Holecek, der sich darob auch noch in Interviews groß tut.

Seine Leistung beim Einrichten der Zwischentexte hat etwas Altherren-Spitzbübisches, sich äußernd in einem Humor, der erkenntlich schon vor etlichen Jahrzehnten zu Grabe gesunken ist. Nun ja. Hier kämpft sozusagen der fröhliche Urstand gegen den Ernst, dessen es bedarf, um ein Werk der Opernliteratur, und sei es noch so bekannt und publikumswirksam, gültig auf die Bühne zu bringen. Oper ist eine ernste Sache. Und zwar insofern, als es ernsthafter Arbeit bedarf, mehr als nur das grad greifbar Beste zu geben. Jedenfalls macht erst die gesammelte Bemühung von Lead-Team, Ensemble, Chor und Orchester normalerweise eine gute Aufführung aus.

Man scheint sich gedacht zu haben, für die Provinzler in Steyr wird’s wohl reichen.

Wirklich anhörbar, in ihrer zweiten Arie im letzten Akt sogar ernstlich gut war einzig Akiko Nakajima als Micaela. Die Hauptfiguren, die Belgrader Sopranistin Sanja Anastasia als Carmen und der zu Wien schon durch gegenwärtige wie barocke Darbietungen positiv aufgefallene Argentinier Rául Iriarte als Don José, wurden von der generellen lustifizierenden Linie der Regie hinab gezogen.

Eine Katastrophe war des Kammersängers Sohn, Sebastian Holecek, als Escamillio. Dabei habe ich ihn aus Krenek’s Kehraus in Sankt Stephan noch in durchaus wohlwollender Erinnerung.

Erträglich Martina Dorak als Frasquita und Ulrike Pichler-Steffen als Mercédes, aber auch hier tat die Regie ihr zerstörerisches Werk: Susanne Sommer, die hier zu Steyr häufiger tätig ist und war, und die ich angelegentlich ihrer Zauberflöte aus 2005 sogar dem Wüten des Herrn Achimn Freyer an ebendiesem Werke vorgezogen habe, hat diese Carmen kurz und schmerzlos flach gelegt.

Die Musiker unter Niels Muus strebten bisweilen zu höherem, erreichten’s stellenweise auch, doch waren sie an manchen Stellen arg eins mit dem Konzept: da ging dann der Operetten-Schweinsgalopp mit ihnen durch.

Vielleicht tat’s es auch nur deshalb so besonders weh, weil ich grad drei Tage zuvor den musikalisch wie szenisch sehr zufriedenstellenden Don Giovanni von Keith Warner am Theater an der Wien genossen habe… Das läßt mich schaudern vor der Ankündigung, dass man zu Steyr sich im nächsten Jahr an eben diesen Mozart wagen will. Man kann’s den Leuten nicht verbieten; man kann sich allenfalls den Weg schenken.

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