Der lustlose Virtuose versenkt ein Standardwerk

Mit dem ersten Klavierkonzert op. 23 in b-moll von Pjotr Iljitsch Tschaikowski hat es eine ganz eigene Bewandtnis: es gehört zu den meistgespielten seiner Gattung überhaupt, und das dankt sich in erster Linie dem Einleitungsmotiv in Des-Dur, das weit über die Konzertsäle und die Hörerschaft von klassischer Musik hinaus bekannt ist.

Dabei ist gerade der lange Kopfsatz über weite Strecken weder interessant noch spannend noch besonders anspruchsvoll, der zweite ist picksüss geraten – und den dritten hat Alexander Siloti drastisch gekürzt.

Nichts desto trotz kann man dem Werk auch in der gekürzten Fassung einen gewissen Zauber nicht absprechen. Allerdings setzt das voraus, dass die Ausführenden dem auch gewachsen sind.

Was das RSO Wien betrifft, kann man davon ausgehen, dass seine hervorragenden Musiker das durchaus können. Vom Dirigenten des Abends, Cornelius Meister, gilt das leider nicht: hier fehlt die Präzision und die optimale Abstimmung mit dem Solisten.

Das wahre Ärgernis der Aufführung ist aber eben der Solist: der einstmals als großes Talent gehandelte und inzwischen sich eher rar machende Kroate Ivo Pogorelich traktiert das Klavier zum einen an der grenze zur Brutalität, zum anderen lässt er seine Lustlosigkeit allzu offenbar werden.

Bisher ist mir noch nicht untergekommen, dass das normalerweise kritiklos Star-verliebte Wiener Publikum einem Solisten schon nach dem ersten Satz mit lautstarken, vielkehligen Buh-Rufen Bescheid sagt, solches kennt man sonst nur aus der Staatsoper.

Die etwas heisere, kantige Interpretation könnte dem Stück ja vielleicht sogar gut tun, es aus dem pickig süßlichen Eck der Allerweltsklassik wieder hervorholen – wäre da nicht die ganz und gar offensichtliche Lustlosigkeit des Solisten, gepaart mit schon nicht mehr auszuhaltender Großkünstler-Präpotenz.

Daneben muss leider der Eindruck einer österreichischen Erstaufführung verblassen: zu Beginn des Konzerts erweist das RSO dem kleineren Wiener Jahresregenten Alban Berg die Ehre, die unvollständige Komposition Passacaglia aus dem Jahr 1913 in ihrer unvollendeten Urfassung in diesem Land erstmals aufzuführen.

Nun ja: Berg, der wenige, dafür in recht verschiedenen Gattungen ausnahmslos exzeptionelle Werke – siehe den Wozzek von letzter Woche – geschaffen hat, wird schon gewusst haben, warum er ausgerechnet dieses nicht vollendet hat: es ist seiner Rede nicht wert, lediglich das heurige Fest für Alban Berg im Rahmen der Festwochen heischt nach so etwas wie einer Erstaufführung. Man ist ja schliesslich nicht irgendwer…

Nach der Pause gibt’s noch Alexander von Zemlinsky, aber leider nur die recht allerweltsgewandte Seejungfrau von 1902, ein eher banales Werk des sonst für seine – beteiligte – Position am Rande der Moderne bekannten Komponisten.

Dirigent Meister entblödet sich eingangs nicht, die sattsam bekannte Geschichte der verliebten Meerjungfrau zu erzählen – immerhin in freien Worten, Anerkennung! – und senkt das Niveau der Veranstaltung damit endgültig auf das eines Schülerkonzerts.

Die Armen sind die Damen und Herren des Radio-Symphonie-Orchesters, hervorragende Musiker, die einen extrem kompetenten Klangkörper formen, der seine Stärken in der Moderne und klassischen Moderne, bei allem, das schwierig ist, auszuspielen vermag – und dann das! Mein Beileid.

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