Der Tannhäuser im Repertoirebetrieb

Am Tannhäuser hat Richard Wagner sich auch nach der Premiere der ersten Fassung sein ganzes weiteres Leben lang erfolglos abgemüht. Das lag in erster Linie daran, dass er sich im Libretto eines Themas angenommen hatte, das ihn erstens selbst widerspiegelte und betraf und zweitens realiter gar nicht aufzulösen war und ist.

Es ist eines der großen Themen der Menschheit, eine der klassischen künstlichen Entgegenstellungen, die in irgendeiner Form sich immerzu aufdrängen, grundsätzlich aber gar nicht sein müssen – man kann es mit Baudelaire knapp und präzise sagen:

der Kampf des Fleisches mit der Lust, des Himmels mit der Hölle.

Wagner selbst hat zeit seines Lebens nicht- und aussereheliche Liebschaften aneinander gereiht, und hatte darunter, ganz Kind seiner Zeit, in schwülstiger Aufgeblasenheit zu leiden. Man kann es natürlich als großartige künstlerische Leistung ansehen, dass und wie solches ins Werk sublimiert wurde.

Im Tannhäuser ist Wagner in wunderbarer Weise die Gegensetzung der beiden Optionen gelungen, wenngleich über die tugendhafte Seite der Paarung inzwischen der Untergang ihrer christlichen Fundamente hinweg gegangen ist. An der reinen Minne ist nichts mehr dran – und ehrlicherweise kann man wohl davon ausgehen, dass schon damals nicht viel dran war: des Dichters und Komponisten eigenes Leben legt beredtes Zeugnis davon ab, wie theoretisch das alles längst gewesen sein dürfte.

Für ein Bühnenwerk schlimm aber ist die immanente Unmöglichkeit, dieses Dilemma aufzulösen. Das liegt vermutlich daran, dass hier von jeher ein äußerst realer einem bloß eingebildeten Gegner gegenüber gestellt wird. So bleibt wenig anderes als die Suppe duchzurühren, kräftig aufzukochen und schlussendlich in den Gulli zu schütten: die Tugendhafte stirbt, indem sie sich für ihren zerrissenen Verehrer opfert, und der stirbt auch.

Das ist zweifellos ein Ende, denn es sind fast alle tot, die für den Konflikt wichtig sind – bezeichnenderweise aber lebt Frau Venus, die Personifizierung der Lustseite, ungerührt weiter. In diesem Punkt scheint der kleine Rest von Realitätssinn sich zu konzentrieren.

Was ihm dramaturgisch mißlang, hat Wagner musikalisch zugekleistert. Sein apothetischer Schlusschor tut weh, das vorangehende motivationslose Hinscheiden der beiden Protagonisten sowieso. Man kann sich diesen dritten Akt getrost schenken – so könnte man einen schnörkellos schönen Opernabend gehabt haben.

Allerdings brächte man sich im Falle der Inszenierung von Claus Guth um einen wahrhaft genialen – wenn auch in seiner Konsequenz vermutlich gar nicht beabsichtigten – zynischen Kommentar: spielt der dritte Akt in der Ausstattung von Christian Schmidt in einer eindeutigen Adaption der Irrenhausatmosphäre des Otto Wagner’schen Spitals, so wird der Pilgerchor folgerichtig in Zwangsjacken gesteckt und begleitet von Ärzten und Schwestern vorgeführt. Selten hat man auf einer Bühne – und schon gar jener ehrwürdigen der Staatsoper – religiöse Versteigungen derart pointiert kommentiert gefunden.

Ansonsten war natürlich alles brav gesungen, wenn auch hölzern dargestellt. Für Kammersänger Johan Botha, der sanglich großartiges leistet, mag die Entschuldigung gelten, dass er in seiner in Jahren amassierten Beleibtheit einfach nicht mehr schnurstracks gehen kann sondern als gelegentlich hilflos flatternder Pinguin durch die Szene watschelt.

Wie die Maske Frau Venus Michaela Schuster verunstaltet hat, läßt einen das Opernglas resignierend zur Seite legen. Aber hören kann man sie auch ohne. Besser erging es da Elisabeth Anja Kampe, die ihrer völlig unzeitigen Rolle zum Trotz hohe Präsenz mit der Fragilität der tugendhaften jungen Frau zu vereinen wusste – und: ihr hat man das Gesicht gelassen.

Bemerkenswert konzise und auch sonst ohne Makel: der Eschenbach von Matthias Goerne – rein und pur bis zum Erschauern. Ein anachronistischer Recke, der wie zum Hohn das ganze Schlamassel überleben muss.

Einen wahren Narren gefressen hat das Staatsopern-Publikum an seinem neuen Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst – tosender Applaus und Bravo-Rufe begleiten ihn schon beim ersten Betreten des Orchestergrabens. Und irgendwie zurecht: seine Arbeit an der Partitur bringt die Feinheiten des Wagner’schen Frühstils zum Klingen, das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper leistet sich maximal etwas Überlautstärke, jedoch keine Breiigkeit, wie sie ansonsten vom späten Wagner her überzuschwappen pflegt.

Das also ist die neue Ära im Haus am Ring: wir haben einen neuen Liebling, und ein solcher Sympathieträger wird dem Duo Welser-Möst und Meyer gewiss gut tun. An der grundlegenden Misere des Hauses wird sich damit wenig ändern. Denn dass man diesem Tannhäuser, der letzten Neueinstudierung der endlich doch noch verblichenen Ära Hollender, Repertoiretauglichkeit bescheinigen muss, ist eigentlich schon Rufmord – aber leider nur zu wahr.

Die psychologischen Feinheiten, die Regisseur Claus Guth da sichtlich mühsam erarbeitet haben mag, sind in den paar Aufführungen seit Juni zu hohlen Phrasen und leeren Gesten abgeschliffen. Der Repertoirebetrieb läßt grüssen.

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