Über das Dis in Dis-covered

Die Wiener Mezzosopranistin und Altistin Elisabeth Kulman hat nicht zuletzt in der mit Netrebko und Garanca höchstkarätig besetzten Anna Bolena an der Staatsoper beste Figur gemacht, sie glänzte schon in Aribert Reimanns Medea am gleichen Haus neben der unvergleichlichen Marlis Petersen.

Ihr CD-Debut lieferte sie mit Mahler-Liedern ab: in einer eigenwilligen Interpretation mit dem Amacord Wien Quartett.

Nun lässt sie Modest Mussorgsky folgen, eine Zusammenstellung von schwermütigen, bis auf ihre rhythmische und vokale Struktur entblätterten Liedern – wiederum begleitet von einem Quartett, diesmal jedoch aus Jazzmusikern und in erstaunlicher Besetzung:

  • Tscho Theissing (Violine)
  • Arkady Shilkloper (Horn)
  • Miki Skuta (Klavier)
  • Georg Breinschmid (Bass)

Die Zusammenarbeit mit Tscho Theissing und Consorten führt aber nicht zu einer jazzigen oder ver-jazzten Version. Elisabeth Kulman singt definitiv klassisch, die Begleitung ist weniger im Jazz beheimatet als eine mit dem analytischen Ohr des Jazzmusikers auf Rhythmik und klare Linien reduzierte Quintessenz. Es ist erstaunlich, wie hier durch Weglassen – anstelle von Hinzufügungen zweifelhafter Provenienz – eine Transposition klassischer Literatur in ein zutiefst modernes Kleid gelingt!

Mit Mussorgsky Dis-Covered ist Elisabeth Kulman einer neuerlicher Beweis ganz außerordentlichen musikalischen Spürsinns gelungen. Die CD geht vom ersten Ton an nicht bloß ins Ohr sondern in Herz und Blut…

Der Titel Dis-covered spielt mit den Bedeutungen entdecken und der Vorsilbe dis, welche Auflösung signalisiert – und das zu Recht! Hier wird etwas zuwege gebracht, was in einem Konzert mit russischen Liedern heuer zu Ostern ganz und gar nicht gelingen wollte.

Es sind fulminante instrumentale Stücke darauf zu finden, wie der einleitende Gopak oder das Finale der Balets russes – aber eben auch dunkel glühende, tiefgehende Lieder wie Pesnja Mefistofelja v pogrebke Auerbacha, bekannter vielleicht als Mephistos Flohlied… sowie das eine oder andere freiere Arrangement.

Mussorgsky Dis-covered ist keine weitere CD aus der Serie ‚Ausbeutung klassischer Kompositionen‘ sondern eine begrüßenswerte Facette musikalischen Weiterdenkens. Gelungen, hörenswert, kaufenswert!

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