Frischzellenkur für einen alten Russen

Vor unzähligen Jahren gelesen und damals für wenigsagend befunden: ein typischer russischer Schwafler. Doch einerseits sind die Dinge in der Literatur nicht immer, wie sie scheinen, und andererseits – wird man eben älter.

Man kann natürlich lange darüber debattieren, ob man Tolstoj oder Dostojewskij für elendige Langeweiler halten darf oder nicht. Wahrscheinlich sind sie es nicht – aber das ändert wenig an der unleugbaren Tatsache, dass sie es exzellent verstehen, einen anzuöden, Tolstoj noch mit erheblichem Abstand spürbarer als Dostojewskij.

Doch: wer einen Autor nicht im Original zu lesen versteht, sollte sich davor hüten, so etwas zu denken. Oder kann man in einer Schlegel-Tieck-Übersetzung den leisesten Hauch der Genialität und Gewandtheit, des Witzes und der sprachlichen Deftigkeit eines Shakespeare erahnen? Zugereimt, gespreizt, theatralisch – man könnte direkt darauf verzichten. Doch im Original!

Kent: I cannot conceive you. – Gloucester: Sir, this yong fellowes mother could; whereupon she grew round womb’d, and had, indeede Sir, a sonne for her cradle, ere she had a husband for her bed. Do you smell a fault?

Was also weiß man, wenn man Die Dämonen auf deutsch liest? Meist noch nicht einmal, dass schon der Titel schlecht übersetzt ist. Swetlana Geier ist mir als diejenige Übersetzerin bekannt geworden, die sich über die eingespielte Titeltradition hinwegsetzte und mit Böse Geister richtig übersetzte – so sagt man.

Als ich nun irgendwo auf den Großinquisitor stieß, wußte ich zwar, woher ich die Figur wohl kannte, doch allzu verschwommen. Lang ist’s her. Irgendwie ergab es sich, dass ich nicht nach meiner Brüder Karamasow-Ausgabe kramte, sondern mir eine Swetlana Geier-Übersetzung besorgte:
Dostojewskij - Die Brüder Karamasow

Die Überraschung ist gelungen: in dieser Übersetzung fehlen schon vom Anbeginn die moralinsauren Untertöne, statt dessen präsentiert sich dieser Dostojewskij mit einem Humor, der alle Facetten von feiner Klinge bis derbem Schalk beherrscht, dem auch Lakonie nicht fremd ist.

Die Geschichte ist und bleibt die gleiche, doch liest sie sich vollkommen anders. Ob das dem Original getreuer ist, bin ich natürlich nicht berufen zu sagen. Für den alten Russen aber ist es bestimmt eine Frischzellenkur.

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