Ein wirklich tausendjähriges Reich

Man kann getrost das Byzantinische Reich als die einzige staatliche Dauereinrichtung des gesamten Mittelalters bezeichnen: gemeinhin wird seine Entstehung auf das Jahr 324 datiert, als der damals noch im klassischen Sinne römische Kaiser Konstantinus Byzantium zu seiner Reichshauptstadt erkor und mit ihrem Ausbau begann. Aus dieser einstmaligen dorischen Gründung und griechischen Handelsniederlassung, die bereits über mehr als 9 Jahrhunderte bestand, wurde alsbald Konstantinopel. Das Ende des Reiches ist mit der endgültigen osmanischen Eroberung der Stadt 1453 gleichfalls eindeutig definiert, wenn auch von dem Reich schon länger nichts mehr übrig war und nur noch die Stadt sich in christlich griechischen Händen zu halten vermochte.

Immerhin befindet sich die Welt des Mittelmeers am Beginn des vierten Jahrhunderts noch in römischer Hand, die Zeichen der Völkerwanderung sind noch schwach, wenn auch die Ursache zu mancher späteren Krise bereits in diesen Jahren angelegt wird. Es ist noch keine Rede von der Durchsetzung des Christentums, wenngleich es sich rasant verbreitet. Am anderen Ende steht ein Untergang, der sogar auf die ersten Errungenschaften der italienischen Renaissance, mit der bekanntermaßen das europäische Mittelalter zu Ende geht, zurück blicken kann; man wird den Eindruck nicht los, dass etwas sich endgültig überlebt hat.

Das umfassende Werk Byzantinische Geschichte 324-1453 des russisch-stämmigen Byzantinistsen Georg Strogorsky ist nicht eben neu, ursprünglich erschienen in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Normalerweise birgt ein halbes Jahrhundert fortschreitender Forschung tiefgreifende Änderungen, wenn nicht der historischen Sachlage so doch der Beurteilung und Einordnung. Als politische Geschichte des byzantinischen Staates, wie der Band ursprünglich im Rahmen des Handbuchs der Altertumswissenschaft erschienen ist, weist er nach wie vor hohe Gültigkeit auf.

Zudem ist die Darstellung der langen, wechselvollen Geschichte für ein historisches Werk lebendig geschrieben, trotz des enormen Detailreichtums auch stringent erzählt. Die großen Linien bleiben klar sichtbar, die temporären Wendungen und Wirrnisse werden kenntlich gemacht – und in den vielen Herrscher-, Feldherrn- und Kirchenfiguren auch die Menschen herausgestellt.

Ostrogorsky nimmt eine klar distanzierte Haltung zu den religiösen Sachverhalten hinter den fortwährenden Streitigkeiten der östlichen Christenheit ein: es klingt niemals so, als könnte er in dem Unsinn, um den da gestritten wird, selbst irgendeinen Sinn erkennen, ohne dass er das jemals äußern würde. Es ist auch nicht zu verstehen, warum man über die Worte homoousios und homoiousios langdauernd streiten kann, von den dahinter liegenden krausen theologischen Vorstellungen gar nicht mehr zu reden, oder worum es in der ikonoklastischen Krise oder beim Hesychasmus gibt.

Am Ende der fünfhundert Seiten bleibt eigentlich nur eine Frage wirklich offen: wie konnte sich ein dermaßen zerrüttetes Reich denn überhaupt so exorbitant lange halten?

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