Es wohnen, ach, zwei Herzen…

Den sturen Barockpuristen wie den originalklangverwöhnten Intensivhörer muss man daheim lassen – das war schon von vorn herein klar an diesem Abend.

New York Metropolitan Opera Manager Peter Gelb hat eine Idee umgesetzt, die außerhalb Amerikas zweifelsohne eher wie ein Sakrileg klingt: mit Arien aus verschiedenen Opern von Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi sowie Chor- und Ballettstücken von Jean-Philppe Rameau, André Campra und Jean-Marie Leclair und einer nahezu vergessenen Arie aus der Kantate Il Pianto di Maria von Giovanni Battista Ferrandini wird eine neue Oper zusammengestoppelt, ein nagelneues Libretto auf der Basis von William Shakespeare’s Sturm und Mittsommernachtstraum darüber gestülpt – und das ganze von großartigen Sängern unter der Leitung eines Barockspezialisten umgesetzt. Das klingt wie eines der typischen Erfolgsrezepte aus Hollywood, die man dann als fertiges Produkt namens The Enchanted Island gar nicht erst sehen will…

Es ist am Ende auch das Sängerinnenenseble, das zu einem Besuch der Live in HD-Vorstellung verlockt: Joyce di Donato und Danielle de Niese sind ausgelobt – und vor allem das australo-amerikanische Kraftbündel habe ich des öfteren schon live gesehen und gehört.

Zunächst treten alle Befürchtungen geballt und massiv ein: das Orchester ist, natürlich notwendig für ein dermaßen riesiges Haus, mehrfach besetzt, von barockem Instrumentarium keine Spur, das kommt beinah so daher wie ein Vivaldi unter Karajan. Immerhin leitet William Christie das Metropolitan Opera Orchestra bei diesem Gang ins Neuland. Ferner wird in englischer Sprache gesungen, was ursprünglich für italienische Zungen komponiert wurde. Man fragt sich unweigerlich: wollte ich das wirklich?

Oh doch: Counter David Daniels, der eine Reihe von Händel-Opern gesungen hat, eröffnet die Partie des Prospero fulminant mit einer Arie von Händel, und bald schon irritiert auch die Sprache nicht mehr – es geht doch tatsächlich! Und erst recht die wunderbar witzige Ariel von Danielle de Niese: das quirlige schauspielerische Talent kommt hier bestens zur Geltung, auch die Musik ist ihr passend wie auf den Leib schrieben. Als unterdrückte Zauberin Sycorax beeindruckt Joyce di Donato mit Tiefen, die Verzweiflung und Wut einer Verlassenen und auf Rache sinnenden Frau wohl besser nicht darstellen können.

Dann kommen aber die Überraschungen: die aus Louisiana stammende Sopranistin Lisette Oropesa verkörpert Prosperos Tochter Miranda mit jugendlicher Grazie und nahezu perfekt barockem Gesang – da lässt sich ahnen, dass ich diesen Sommer in München was versäumt habe, als die junge Amerikanerin dort in Mozarts Idomeneo sang.

Völlig mit Bühnenschminke zugeschmiert stolpert Bassbariton Luca Pisaroni in montröser Verkleidung als versklavter Caliban, Sohn der Sycorax und verhinderter Beherrscher der Insel, durchs Bühnenbild – singt aber, wie schon beim Leporello oder in Händels Resurrezione unter Harnoncourt, mit gewaltigem Umfang und Gespür für die epochengemäßen Nuancen. Pisaroni gehört seit heuer zu meinen absoluten Favoriten.

Wenn wir schon bei der epochengemäßen Gestaltung sind: trotz frenetischer Begrüßung durch das Publikum und anhaltendem Applaus ist Plácido Domingo in der Rolle des Neptun keine gute Besetzung. Speziell in seiner zweiten Arie trägt er Vibrato auf wie bei Verdi, auch ist das volle Volumen späterer Epochen hier gar nicht angebracht. Er ist wirklich der einzige im Ensemble, der nicht hierher passt, so gern er nach eigenem Bekunden auch Barock zu singen wünscht.

Spät im Stück tritt der lange gesuchte Sohn Prosperos, Ferdinand, auf, verkörpert vom jungen amerikanischen Countertenor Anthony Roth Constanzo, der bereits einige bemerkenswerte Erfolge aufzuweisen hat und eine Woche zuvor den erkrankten David Daniels als Prospero vertrat: er bemeistert selbst Händels Ombra mai fu mit großem Tiefgang und erfreulich korrekten Tempi.

Soweit zu Shakespeare’s Sturm – aus seinem Sommernachtstraum werden zwei Liebespaare ans Gestade der Insel gespült, nachdem Ariel’s Zauberkräfte das falsche Schiff versenkt haben: Layla Claire (Helena) mit einer perligen Sopranstimme, die sie besonders in Why am I living? beseelt einzusetzen versteht, Tenor Paul Appleby (Demetrius), Mezzo Elizabeth DeShong (Hermia) und Bariton Elliot Madore (Lysander).

Dem Leading Team Phelim McDermott für die Inszenierung sowie Julian Crouch fürs Bühnenbild und Kevin Pollard für die Kostüme ist ein barockes Spektakel gelungen, in dem mit viel Humor und einer gesunden Prise Selbstironie eine atemberaubende Synthese aus der Anmutung barocker Theatermaschinerie auf der Basis neuzeitlicher Technik erschaffen wurde, die in der Tat einen Eindruck zu geben vermag, was man in der Entstehungszeit der Musik eventuell unter einem gelungenen Theaterabend verstanden haben mag.

William Christie liefert ein durchaus barockes Musikgefühl, wenn es auch am Klang hapern muss. The Enchanted Island ist sicher wegweisend: barocke Arien verdienen es, auch in herkömmlichen Opernhäusern gesungen zu werden, Barockoper darf auch in Darreichungsformen verpackt werden, die eine breitere Tauglichkeit erweisen. Da man leider Begleitung und Gesang nicht trennen kann, ist die Produktion aus Sicht eines Barockopernliebhabers trotz großartiger gesanglicher Leistungen durchgefallen – aus Sicht eines Opernfreunds mit breiterem Repertoire ist ein vergnüglicher Abend mit erfrischenden neuen Blicken auf alte Musik gelungen, den zu versäumen schade wäre.

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