Kantate mit Umgang

Wenn etwas den Gattungsbegriff Oper führt, und sei es im Diminutiv Kammeroper, dann sollte man gewisse Konstituenten einer solchen erwarten dürfen, es sei denn, man wird aufs Unverfrorenste geprellt.

Eine Erkenntnis aus einer Vielzahl von Versuchen, gegenwärtig Oper zu schaffen, muss es wohl sein, dass gerade dem Dichter eine eminent wichtige Rolle zukommt, ergo dessen jene Komponisten, die sich lieber höchstselbst als Kompilatoren ihrer Libretti betätigen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Dem Dichter kommt die zentrale Funktion zu, auf den Schultern seiner Handwerkskunst die Last des ganzen Stücks zu tragen: es ist die feine Hand des planenden Architekten, die das Gelingen eines musikdaramtischen Werkes ausmacht. Dem gegenüber ist der Komponist für die dramatische Statik von nachgerade untergeordneter Bedeutung. Das vergessen heutzutage viele, und nicht einmal das bittere Beispiel des größenwahnsinnigen Wagner schreckt sie ab.

Dabei zählen gar nicht die Worte – die bringen ja auch die Kompilatoren zusammen. Und wer sich bei Großen bedient, kann Großes abstauben. Doch in der Oper gelten andere Gesetze: es ist nämlich einerlei, was sie da singen. wäre dem nicht so, hätte wohl das gesamte Repertoire der Barockoper nur mäßige Existenzberechtigung. Nein, die Statik eines musikdramatischen Werks ist zu spüren, ganz egal, wovon gesungen wird.

Dies außer Acht zu lassen muss jedweder sich vorwerfen lassen, der glaubt, ein Zettelkasten ersetze den Architekten; so auch der Andalusier José María Sánchez-Vertú, der gewiss mehr Accents im Namen führt als Talente zum Bau einer Handlung besitzt. Das kritisiert keineswegs seine Auswahl der Textbausteine – die sind, wie gesagt, bedeutungslos.

Aus dem vorhergehenden wird zugleich erhellen, dass es auch einerlei ist, in welcher Sprache gesungen wird: auf den Text kommt es nicht an. Der „Kammeroper“ Gramma – Gärten der Schrift schadet demnach nicht, dass sie ägyptische, griechische und lateinische Passagen montiert, nein – ihr fehlt jeglicher Plan. Da ist kein Gerüst, das trüge, kein Korpus, der stützte. Es plappert einfach.

Leider ist auch die musikalische Umsetzung allenfalls dürftig. Man hätte sich nicht der Mühe unterziehen müssen, diesen Herrn aus dem fernen Spanien herbei zu holen; wir haben hierzulande eine Reihe von Kompositeuren, die vergleichbaren Mittelmaßes mindestens so routiniert fähig gewesen wären.

Natürlich vermag auch die Regie kaum Fruchtbringendes beizutragen: wo nichts ist, da wird nichts. Man wird den Eindruck nicht los, nicht einer Oper sondern einer Kantate mit Umgang beizuwohnen. Jedenfalls scheint das Repertoire von Regisseur Christoph Zauner sich darin zu erschöpfen, die Leute im Kreise gehen zu lassen, immerhin in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Und wie immer an Stellen, denen es an Substanz mangelt, kommen Tänzer zum Einsatz. Nicht eben geistreich. Allerdings dürfen die Sopranistin und der Tänzer sich und einander coram publico umkleiden. Auch schon was.

Das amadeus ensemble wien unter Walter Kobéra spielt wacker, ist aber mit der Partitur hörbar unterfordert. Das ganze schmeckt, wie wenn man auf Papier kaut. Veranstalter Neue Oper Wien ist zu danken, dass sie grade Friedrich Cerha angekündigt haben: sie geben innert Monatsfrist den Baal. Da wird sich das hier gesagte dann bewahrheiten…

Bezeichnend an diesem zum Glück recht kurzen Abend ist, dass die einzige bemerkenswerte Einlage – denn um eine solche handelt es sich, um ein Couplet gewissermaßen – das Lamento d’Arianna von Barockmeister Claudio Monteverdi gewesen ist, das man quasi als Raumtrenner inmitten der gesammelten Bagatellen aufzustellen gedachte. So ist es natürlich die in Nigeria geborene junge Sopranistin Bibiana Nwobilo, die den einzigen Lichtblick eröffnet.

Was der Andalusier ihr zu singen gab, war wenig bedeutsam – aber den Monteverdi hat sie mit Wärme und präziser Gestaltung dargebracht: dafür gebührt ihr der Dank eines enttäuschten Premierengastes.

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