Massenmörder Wirtschaft

Ein Regime, das frech einen Feldzug nach dem anderen in seiner Nachbarschaft führt, mit dem bewußten Risiko der Ausweitung in eine europäische Krise, und das dann gleich beinah der ganzen Welt den Krieg erklärt, während es die Bevölkerungen Europas, vor allem die Juden, in einem inneren Krieg vernichtet, sollte dies alles nicht bloß aus verquerer Ideologie, sondern primär aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus verbrochen haben, aus „pragmatisch-ökonomischen“ Motiven?
Adam Tooze - Ökonomie der Zerstörung
Nicht nur, aber doch ganz wesentlich – so die These des Wirtschaftsgeschichtlers Adam Tooze; in seinem Buch Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus vertritt der Cambridger Professor im Wesentlichen diese These – und sie scheint noch nicht einmal mit dem bisherigen Wissensstand unverträglich, denn die Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches ist ein wenig beackertes Feld, und muss doch zentral sein, denn der Aufstieg Hitlers dankt sich den Kalamitäten der deutschen und der Weltwirtschaft der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Vieles weitere, das danach geschah, ist Ausfluss der maßlosen Ausgabenpolitik (vornehmlich zugunsten der Rüstung), die Hitlers Regierung sofort ins Werk setzte.
Dass dies weniger geschah, um der Arbeitslosigkeit entgegen zu wirken, zumindest schon ab dem Jahr 1934 nicht mehr, ist eine der bemerkenswerten Erkenntnisse aus Tooze’s Analyse: die Arbeitslosigkeit reduzierte sich im laufenden, schon vor dem Amtsantritt Hitlers begonnenen Konjunkturzyklus, und nicht zuletzt wegen Maßnahmen, die das Kabinett seines Vorgängers, Brüning, geplant und eingeleitet hatte. Hitler vermochte die Investitionen in die Rüstung umzulenken, ohne negative Beschäftigungseffekte befürchten zu müssen. Das Land war – aber nicht erst seit der Wirtschaftskrise im Gefolge des Ersten Weltkriegs – im internationalen Vergleich, auch innerhalb Europas, unterentwickelt; Hitlers Blick richtete sich daher nach den USA, um zugkräftige Visionen für einen Aufbruch zu entwickeln. Das war aber von allem Anfang an reine Rhetorik und nur solange wirklich tauglich, als es nicht darum ging, die Versprechungen einlösen und die Visionen konkretisieren zu müssen.
Die brutale Steigerung dieser volkswirtschaftlich unproduktiven Ausgaben führte aber sehr rasch zum Staatsbankrott – der nur dank der geschickten Machinationen vor allem des Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht verhindert und verschleppt werden konnte. Hitler pendelte bis zum Kriegsende (trotz hyperaktiver Rüstung) beständig zwischen den Extremen des Bankrotts und der Inflation, welche innenpolitisches Schreckgespenst Nummer eins war. Ein nicht unwesentliches Moment der Eingliederung Österreichs und auch der Tschechei waren daher die Gold- und Währungsreserven dieser Länder, wie sich die Deutschen auch in allen in der Folge eroberten Ländern zielstrebig an den Werten bedienten.
Auch die Vernichtung der Juden, aber vor allem die der Polen und anderen Einwohner eroberter Gebiete im Osten, steht ganz und gar im Zeichen der mißlungenen Nutzbarmachung ihrer Ressourcen für die deutsche Kriegswirtschaft: man rechnete zunächst nicht mit langer Dauer des Rußlandfeldzugs, machte sich also nicht die Mühe, die Bevölkerung der überrannten Länder freundlich zu stimmen, um sie optimal zu nutzen.
Danach blieben den Deutschen nur noch Maßnahmen, die den Verbrauch von Produktions- und Lebensmitteln in diesen Ländern möglichst einschränkten, damit Güter für Deutschland und die Streitkräfte herausgepresst werden konnten – oder bisweilen zumindest nichts aus deutscher Produktion zugeschossen werden mußte, um Menschen zu ernähren, die es dem Regime nicht wert waren.
Die folgende Darstellung der beinahe übermenschlichen Leistungen der deutschen Rüstungswirtschaft in den Kriegsjahren, sowie der Rolle verschiedener Protagonisten ist aufschlußreich:
Albert Speer, der als Architekt des Führers nach dem Krieg noch gimpflich davongekommen war, stilisierte sich während der letzten Jahre zum Motor der Rüstung hoch, der er jedoch gar nicht in diesem Ausmaß war; die Selbstorganisation der deutschen Wirtschaft unter ihren auch nach dem Krieg maßgeblichen Kapitänen und Lenkern brachte den Großteil dieses negativen Wunders zustande.
Dass Hitlers gesamter Krieg – gerade vor dem Hintergrund der deutlichen wirtschaftlichen Unterlegenheit – verloren gehen mußte, wird rasch klar, und auch, warum und wie es den Deutschen gelang, das so lange hinauszuzögern.
So betrachtet ist die deutsche Wirtschaft einer der zentralen Massenmörder dieses Krieges: das militärische Rückgrat und mit ihm das Regime hätten längst früher zusammenbrechen müssen – und aus der Prespektive der Opfer gerade der letzten beiden Jahre wohl auch besser sollen…

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