Maul halten

Ich pflege der Gegenwart und ihrer Literatur mit dem groben Sieb der zpersönlichen Relevanz zu begegnen: wenn man bedenkt, wie viel geschrieben wird und erscheint, und wie viel davon man eigentlich sinnvollerweise lesen kann, ob mit Genuss oder ohne, dann braucht man solche Korrektive. Also versuche ich, entweder meinen thematischen Neigungen nachzugehen (was Geschichten von menschenleeren Welten kategorisch ausschließt), meine Erinnerung an stattgehabte Kontakte zu befragen (was Michael Köhlmeier von vornherein disqualifiziert) oder dem Hinweis des einen oder anderen Kritikers nachzugehen (was alles Mögliche potentiell erlaubt).

Das Datum, eine nicht ganz monatlich erscheinende Monatszeitschrift mit dem Anspruch, wertvoller in einem quasi basalen intellektuellen Sinn zu sein als sonst seinesgleichen, hat sich – in meiner Leseliste – durchaus etabliert, und zwar in erster Linie, weil es abseits der unseligen Geschichten, wie sie Woche für Woche im profil stehen, Nebenläufiges bringt, das den Kern meiner Interessen genauer trifft.

Dennoch ist natürlich auch das Datum nicht frei von Ärgernissen – ich bin ja nicht das heutige Pendant zu Karl Krausens ältestem Abonnenten der Neuen Freien Presse, dass ich ich jedwedes Geschreibsel kritiklos hinnehme. Die allerneueste Moderne bedingt ja offenbar auch einen Bruch zwischen den angestammten medialen Heimaten und ihren Bewohnern, die wir nunmehr ganz hart zu Benutzern geworden sind.

Die meisten Anfälle von Belanglosigkeit in den Medien kann man ja durch Wegschauen, Weiterblättern, Umschalten und dergleichen relativ unspektakulär umgehen. Und natürlich hätte ich auch eine weitere meiner Datumsseiten umschlagen und alles auf sich beruhen lassen können:
Ein gewisser Klaus Kastberger, Literaturwissenschaftler und -kritiker in Wien (allein das winzige ‚l‘ im Wissenschafter nehme ich ihm bleibend übel) verspricht mir, indem er sich gleich eingangs als Kritiker selbst-tituliert, Information über den derzeit so hoch gepriesenen österreichischen literarischen Sensationsherbst, und das noch, wie ich der Tonalität der Einleitung entnehme, in kritischer Tonalität. Genau das also, was ich abseits der allgegenwärtigen Lobeshymnen momentan gerne lesen würde, um mir mit diesem weiteren Mosaiksteinchen ein vollständigeres Bild zu machen.

Das aber tut der Kastberger? Er ödet herum wegen seines Urlaubs und eines gewissen Flaubert, was ihm – das eine – als Einleitung ja noch gerade verziehen sei und – das andere – der Vielfalt menschlicher geschmacklicher Begeisterungsfähigkeit zugeschrieben sein möge. Auch wird nichts besser, wenn er sich blindwütig mit größeren in Clinch begibt: der Falter ist nun mal nicht bloß älter sondern durchwegs auch kompetenter als das Datum, man könnte sagen: um zumindest ein Eckhaus, aber auch Klaus Nüchtern (vom Falter) ist kompetenter als Kastberger (vom Datum) – in diesem Fall müßte man allerdings zur Darstellung des Maßstabs bereits die Burg Hochosterwitz heranziehen, samt Berg, auf dem sie steht.
Ich lese das Datum aber trotzdem – ich lese ja auch den Standard, obwohl es die NZZ gibt, und ich höre Ö1, obwohl es dort den geriatrischen Sonntagvormittag und die Abteilung Religion gibt.
An wenigsten verzeihe ich dem Kastberger jedoch, dass er zu keinem der für diesen Herbst hochgelobten Titel eine Meinung hat – außer, dass ihn das alles nicht interessiert. Die Plattitüden, die er dabei verbreitet, könnten nicht selbstverständlicher sein. Natürlich, die Zeit wird erweisen, was von diesen Dingen (nicht unbedingt Peter Henisch’s „Eine sehr kleine Frau“) keinen bleibenden Wert erlangen wird – das weiß ich selber. Es verhält sich zu allen Zeiten so – auch Gustave Flaubert hatte solche Zeitgenossen – und auch mehr geschrieben, als man heute noch als dem Leser zuträglich bezeichnen darf (vor allem den unsäglichen Historienschinken „Salammbô“, den ich angelesen aber bald verworfen habe). Man disqualifiziert sich schon außerordentlich, wenn man gerade dem alten Langeweiler Flaubert attestiert, er habe die besten drei Romane aller Zeiten geschrieben, noch nicht einmal eingeschränkt auf französische Romane oder sonstwie. Ich komme seit meinen Jugendsünden Madame Bovary und der Erziehung der Gefühle wirklich ganz gut ohne ihn aus.In Deutsch braucht man ihn nicht zu lesen, in Französisch vielleicht, aber das gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, genausowenig wie es vermutlich zu denen der meisten Leser des Datum gehört.

Man muss auch nicht über Sinn und Unsinn eines „deutschen Buchpreises“ diskutieren, darum geht es nicht, nicht mal, was die Produkte in diesem spezifischen Bücherherbst anlangt. Bücher haben nämlich das Recht, von einem, der sich ihr Kritiker nennt, gelesen und bewertet zu werden. Über diesen Dingen stehen darf zwar wirklich ein jeder, aber dann ist er kein Kritiker mehr. Also: lesen oder Maul halten!

Man kann natürlich auch hinter dem ganzen Gequengel einen Masterplan des Datum vermuten: man möchte ins Gerede kommen, ein gesellschaftlicher Ort, an den man ja sonst nie und nimmer hinkommt. Jetzt haben sie’s wenigstens in den Falter geschafft, auch eine Art von Aufstieg. Ein paar Unentwegte – wie ich – lesen das Ding, aber niemanden kratzt es. Wäre nicht aus genau diesem Grunde die finanzielle Lage des Projekts Datum eine prekäre, man sollt‘ direkt sein Geld zurück verlangen.

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