Jenseits der Erträglichkeitsgrenze

Ich gebe zu, ich hatte zuvor keine Ahnung, welche Qualitäten als ernsthafter Komponist im genialen Liederschreiber Mikis Theodorakis stecken. Ich muss nun zugeben, dass mich von dem, was da zu hören ist, wenn es im Wiener Konzerthaus einen ganzen Abend mit Byzantinischer Hymne (aus der dritten Symphonie), Requiem und Mauthausen-Kantate zu erleben gilt, rein gar nichts zu überzeugen vermag.

Für den 87jährigen, beim Konzert persönlich anwesenden und daher von der versammelten Fangemeinde überschwänglich beklatschten Komponisten gilt, was vor ein paar Jahren auch beim inzwischen verstorbenen Joe Zawinul festzustellen war: die Fähigkeit, einen Song, ein tragoudi, zu schreiben, reicht meist noch nicht aus, um sich in der großen Form zu etablieren. Und so wie der Jazzer unspektakulär scheiterte, erweist sich auch der griechische Nationalheros als Gefangener der kleinen Form:

Die Hymne klingt wie von einer seiner herkömmlichen Platten, zum Satz einer Symphonie fehlt ihr so ziemlich alles, was umgekehrt in einem Lied übertrieben wäre, die Kantate ist eine Aneinanderreihung gewöhnlicher Theodorakis-Lieder, recht ähnliches darf vom Requiem gelten.

Man merkt jedoch sogleich, dass man mit solch ketzerischer Meinung ganz und gar allein ist im Großen Saal, nach jeder Nummer tobt der Applaus, sogar die inzwischen schon alte und schauerlich intonationsschwache Maria Farantouri wird gefeiert. Das Ganze ist alsbald eindeutig jenseits der Erträglichkeitsgrenze.

Bevor es dann nach der Pause zu Tumulten kommt, wenn die bekannten Balladen des Meisters erklingen werden, sowie als Finale der berühmt-berüchtigte Sirtaki aus der Filmmusik zum Zorbas, da geh‘ ich lieber rechtzeitig ab. Ich mag das Zeug beizeiten, aber es muss nicht symphonisch denaturiert werden. Man sollte Theodorakis in seinem Metier belassen, da hat er beileibe Unvergängliches geleistet. Das gleiche gilt übrigens für Joe Zawinul.

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