Radio für senile Bettflüchter

Ich bin ja selber ein Frühaufsteher, auch und gerne an Wochenenden. Das könnte man wohl medizinisch schon unter pre-senile Bettflucht rechnen – wird mir daheim auch ab und zu vorgeworfen… Und ich bin begeisterter Radiohörer – also konkreter: passionierter Ö1-Hörer! Es gibt wenig, was annähernd so vielfältig und interessant wäre, wie ein Tag mit Ö1.

Der Sonntagmorgen ist jedoch jedes Mal aufs Neue eine Tortur! Das wäre Alfred Treiber, dem Senderchef, mal in Großbuchstaben ins Stammbuch zu schreiben: kindische Gedichtchen (gegen ernsthafte Lyrik hätte man womöglich nichts einzuwenden), haarsträubende Tatsachenverbiegungen in Religionssendungen – ich meine: wer glaubt denn den Dreck heute noch wirklich? Und als Krönung ein Radio-Kabarett, dessen Autoren und Sprecher wohl selber schon altersheimtauglich sind – auf jeden Fall sind es die bemühten Witzeleien.

Es ist traurig aber wahr: an einem Sonntagmorgen vor 10 Uhr bringt Ö1 ausschließlich Programm fürs Altersheim. Es ist nun ja nicht so, dass ich nicht selber schon zu den Älteren gehören würde, mit deutlich über 40 ist man keineswegs mehr jung und interessiert sich für allerhand, aber die komplette geistige Schrumpfung hat noch nicht eingesetzt.

Ö1 ist das Aushängeschild des ORF, und es ist in der österreichischen Radiolandschaft neben FM4 der einzige Sender, für dessen Nutzung es kontraproduktiv ist, gehirnamputiert zu sein – mit Ausnahme des Sonntagmorgens. Und das tut weh – und leid.

Wie hilft sich also der noch-nicht-gehirnamputierte Hörer? Weiterschlafen? Dazu ist es draußen zu schön, ein milder, fasts etwas kühler Frühsommertag hebt an, mein Kashmir Chai Walla dampft und duftet herrlich, auf der Terrasse fängt der Kater imaginäre Fliegen – oder was er schon tut -, die ersten Erdbeeren und Himbeeren gucken reif und rot aus dem Blätterdickicht hervor: das ist eigentlich kein Morgen fürs Bettherumliegen. Und das profil liegt ausserdem schon vor der Tür.

Ich kann mir jetzt natürlich eine gute alte CD einlegen. Ich kann auch eine selbstgebrannte DVD mit mehreren Tausend mp3s abspielen. Darunter wären sogar etliche hundert(?) Ö1-Sendungen aus meinem Download-Archiv – für dieses Online-Angebot ist dem Sender und dem ORF aufrichtig zu danken. Natürlich, ich mach mein eigenes Radio. Muss ich ja wohl, am Sonntagmorgen.

Aber, um ehrlich zu sein, die Damen und Herren von Ö1 – mit großer Ausnahme der Religionsredaktion – verstehen ihr Geschäft ganz außerordentlich gut, weshalb sollte ich mich da stümperhaft selber betätigen? Für Musik aus der Konserve ist der bildschöne Morgen einfach zu schade, der Geist ist bereits rege und könnte etwas Nahrung ganz gut gebrauchen. Also warten auf 10 Uhr, auf ‚Ambiente‘.

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