Ohne Substanz und Blut

Paris. Nun ist es endlich gelungen: ich bin nicht nur in Paris zu einer Zeit, wo man die Oper bespielt, sondern habe auch passable Karten gekriegt! Man bedenke: in Paris gibt es drei Opernhäuser, doch es ist keineswegs gewährleistet, dass man zu Zeiten, wo andernorts Spielsaison ist, auch nur irgendeine Aufführung ansetzt. Inzwischen ist mir aber klar geworden: die altehrwürdige Opéra Garnier ist ins Ausgedinge geschickt, sie widmet sich Ballett, Musical und Operette; ernsthafte Oper gibt es in der neu erbauten Opéra Bastille.

Beeindruckend ist zunächst in der Tat die Architektur: was in provinziellen Städten wie Wien keine Chance hat, kann in Paris gebaut werden.

In der Oper dann allerdings eine zwiespältige Situation: der wahrhaft atemberaubende Innenraum beeindruckt, wie man sagt, tout-de-suite. Weniger beeindruckend ist dann leider, was auf der Bühne vor sich geht…

In wenig markanter klassischer Orientkulisse singt eine begnadete Angela Denoke die junge, übermütige Salomé. Ihr steht der schon aus der MET-Inszenierung bekannte Finne Juha Uusitalo als halsstarriger Prediger Jochanaan gegenüber. Ihr Aufeinanderprallen hat Richard Strauss in fantastische Musik gesetzt, hat Oscar Wilde zu einer perfiden Satire gestaltet.

Stig Andersen singt seinen Herodes mit wenig Esprit, doch die Schwachstelle des Ensembles ist eindeutig Doris Soffel als überzogene Herodias, selbst wenn man ihr das Schrille als Teil des Regiekonzepts nachsieht – wiewohl zu der ansonsten banalen Anlage kaum passend.

Inszenierung und Ausstattung strotzen vor Fehlern: die Kostümierung ist eher á l’Arabe, eine Form platten Allerweltsorientalismus. Schlimmer ist aber der naive Realismus, der die Personen zwingt, eine Geschichte ohne Sinn und Deutung abzuspulen, als wäre sie für sich selbst bedeutsam – was sie nicht ist. Auch schafft sie nicht, den Witz der Wilde’schen Vorlage zu Tage zu fördern – sogar die Diskussionen der Juden scheinen ernst gemeint.

Diese substanz- und blutlose Salomé gibt einen guten Eindruck davon, woher Staatsoperndirektor Dominique Meyer die schwachen Regisseure nimmt: das ist offenbar der dernier cri de Paris.

Musikalisch aber sorgt Pinchas Steinberg mit dem Orchestre de l’Opéra National de Paris für eine gelungene Interpretation.

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