Vor lichten Reihen

Der Arzt und Gesellschaftschronist Arthur Schnitzler ist ein nicht eben seltener Gast auf Wiener Bühnen, aber bei weitem nicht alle seiner zahlreichen Stücke kommen dabei gleichermaßen regelmäßig zum Zug. Eins von den weniger oft gespielten ist Der einsame Weg, eine Geschichte des Zusammenbrechens von mehr oder weniger gut bürgerlichen Fassaden und säuberlich gepflegten Familiengeschichten.

Das Wiener Volkstheater hat gleichfalls schon bessere Tage gesehen – allzu häufig spielt man vor halbleeren Reihen. So auch hier: das mag ein Wenig am feiertagsnahen Termin liegen, doch ist häufiger zu beobachten, dass das Haus sich nur spärlich füllt. Es steht aber auch nur recht wenig auf dem Programm, das zu einem Besuch anzuregen vermöchte.

Regisseur Alexander Nerlich eröffnet seine Sicht auf das Stück von der Warte der Individualpsychologie aus: sein Fokus gilt der Einsamkeit der Charaktere, die er in ihren planlos rudernden Bewegungen freizulegen gedenkt. Das gelingt ihm nur in wenigen Fällen, bei der jungen Generation, bei Felix und Johanna, zwei an der Bedeutungslosigkeit ihrer behüteten Existenzen kaputt gegangenen Kindern aus gutem Haus, artifizell gespielt von Simon Mantei und Nanette Waidmann, der die Ismene in Sophokles‘ Antigone eindeutig besser stand.

Bei Claudia Sabitzer – in der Rolle der Gemahlin Gabriele – steht eher zu vermuten, dass sie etwas anderes als die Verrückte gar nicht mehr zu geben versteht; es passt wenig zu Stück oder Rolle, doch es scheint nun mal so zu sein.

Ihr Gespons, Professor Wegrat, weiß von ihrem Fehltritt in jungen Jahren nichts, wobei man nicht sagen kann, ob dem definitiv so ist oder ob er sich eher weigert, einer Ahnung nachzugeben. Erwin Ebenbauer macht seine Sache insofern gut.

Der exzentrische – und offenbar sterbenskranke – Stephan von Sala ist ein weltläufiger Lebemann, der um die Verwicklungen zu wissen scheint, das ganze jedoch als Spiel betreibt: Denis Petkovic schlingert zwischen vollendetem Zynismus und unausgegorener Großmannssucht und wird zum Ende von der Regie in einen blödsinnigen Tod getrieben, der ganz und gar nicht passt, weder zur Figur noch zum Stück noch zum sonstigen Konzept. Aber das bleibt der einzige wirkliche Bruch in der Interpretation.

Günter Franzmeier gibt den seinerzeitigen Liebhaber, Beziehungsflüchtling und wirklichen Vater des jungen Felix, den weltenbummelnden, einstmals erfolgversprechenden Maler Julian Fichtner, Heike Kretschmer seine schrille Verehrerin Irene Herms, ihres Zeichens Schauspielerin, die sich zurückgezogen hat aus einem Leben, das sie in die Betten offenbar einiger der Beteiligten geführt hat.

Am Rande kommentiert Arzt Franz Reumann, verkörpert von Rainer Frieb, das sich immer schneller drehende Karussell der Selbstbeschädigung mit Häme und nicht einem Quentchen Verständnis oder Verstehenwollen.

Im Laufe der Darbietung vermag man sogar in die kreisende Vorwärtsbewegung dieser Geschichte hinein zu kippen, bis sie in einem letzten Akt offenbart, dass Autor und Regisseur einander nicht vollends verstehen. Insgesamt wundert nicht, warum die Reihen licht besetzt waren.

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