Des Bucklichten misslungene Rache

Gut: einen Buckel braucht er heute nicht mehr aufzuweisen, der Hofnarr aus Victor Hugo’s Le roi s’amuse, wie ihn Giuseppe Verdi in seinem Rigoletto auf die Bühne stellt. Zur Hand geht ihm diesmal Festwochenintendant Luc Bondy, der sich um Beruhigung bemüht, das Pompöse des großen Opernbetriebs zu vermeiden, wie auch der israelische Dirigent Omer Meir Wellber sehr mit seinen Sängern und Sängerinnen darum ringt, die nirgendwo in der Partitur stehenden, aber inzwischen qua Tradition fast unausrottbar eingebürgerten hohen Töne hintanzuhalten.

Luc Bondy ist es einerseits gelungen, die Ent-glänzung umzusetzen, andererseits hat er es jedoch nicht vollends geschafft, dafür Ersatz zu bieten: es fehlt eine schlüssige psychologische Zeichnung der Charaktere, auch ein anderes Konzept ist nicht erkennbar. Die Geschichte, wie sie von Victor Hugo ja durchaus stringent erzählt wurde, darf sich selbst voran treiben, ihrer immanenten Logik folgend die Summe des denkbaren Unglücks auf einen Bucklichten auszuschütten.

Der Narr Rigoletto behütet seine Tochter insgeheim und verborgen vor der Welt des herzöglichen Hofes, ist sie doch inzwischen herangewachsen und passte dem frauensüchtigen Herzog wohl gerade recht – was schließlich auch passieren muss. Die Verführung seiner Tochter verspricht Rigoletto zu rächen, indem er einen Mörder für den Herzog bezahlt. Doch kommt die liebende eigene Tochter dem vorhaben in die Quere, die sich anstelle des Herzogs opfert, sodass Rigoletto am Ende die Leiche seiner angebeteten Tochter im Sack hat.

Dabei ist an Bondys Konzept noch wirklich gut, dass der Buchlichte hier keines Buckels bedarf, die grobschlächtige Gestalt des Georgiers George Gagnizde allein schon verkörpert glaubhaft den Aussenseiter. Nach anfänglich leisem Auftritt entwickelt der Bariton, der mir schon in der Tosca-Neuproduktion der MET außerordentlich gut gefallen hat, seine Figur zu jener liebenswürdig-dämonischen Verkörperung vergeblicher Bürgerlichkeit in einem Land, das von Hofschranken dominiert wird. Auch sanglich läuft er mit zusehendem Fortschritt zu Höchstform auf.

Sein Gegenspieler, der Herzog von Mantua, ist ein triebgesteuerter Hallawachel, weniger ein Dämon oder Teufel. Francesco Demuro singt die mit der glanzvollen Arie La Donna e mobile in gleich drei Wiederholungen gespickte Partie tadellos, aber leider auch nicht mehr als das. Die gesamt Anlage macht ihn zur Randfigur, was Verdi entgegen Hugo’s Vorlage durchaus so wollte.

Wirklich charmant und außergewöhnlich gut disponiert die junge Amerikanerin Chen Reiss als Rigolettos argwöhnisch behütete Tochter Gilda, die dennoch dem ausufernd frauenverbrauchenden Herzog zum Opfer fällt. Sie versteht es, die Innigkeit des behüteten Mädchens in der Szene mit dem Vater genauso glaubwürdig zu intonieren, wie sie der Glut ihrer Liebe sichtlich und hörbar rauschhaft verfällt. Ihr hat Dirigent Meir Wellber offenbar nicht alle hochtönenden Freiheiten und eigenmächtigen Koloraturen abgewöhnen können, aber was soll’s: sie war einfach hinreißend!

Aus dem sonst sehr im Hintergrund agierenden Personal stachen noch Gábor Bretz als verschlagener Sparafucile und vor allem die Litauerin Ieva Prudnikovaite ein eindrucksvolles Debüt als verführbare Verführerin Maddalena. Sie bringt das Kunststück zuwege, neben der Gassenhauer-Arie des Herzogs Persönlichkeit zu behalten und ihre Partie mit großer lyrischer Prägnanz zu singen.

Die Inszenierung ist der Schwachpunkt dieses Rigoletto: was sich Bondy der Überstülpung externer Interpretationen enthält, vergisst er gleichermaßen an Deutung zu geben. Es hätte, abgesehen von der musikalischen Darbeitung, dieses Rigoletto keineswegs bedurft. Die Bühne von Routinier Erich Wonder wirkt einfach nur billig. Moidele Bickel bringt ein Sammelsurium von Kostümstilen ins Spiel, wobei das einzige Konzept der Kontrast zwischen den Höflingen und den handelnden Personen zu sein scheint, die ganz banal ausstaffiert sind.

So wie die Rache des Bucklichten mißlingt, stellt dieses Lead Team ein durchwegs misslungenes Konzept in den Bühnenraum des Theaters an der Wien.

Wie immer glänzt aber der Arnold Schönberg Chor, diesmal in der Rolle des Hofstaats. Lediglich mit dem etwas zu lauten ORF Radio-Symphonie-Orchester liegen die Damen und Herren unter der bewährten Leitung von Erwin Ortner bisweilen im Clinch.

Der bereits Scala-erprobte Omer Meir Wellber liefert ein insgesamt schlüssiges musikalisches Konzept, das in der Umsetzung allerdings eingangs etwas zu leise, dafür späterhin manchmal etwas zu laut ausgefallen ist.

Zu den Ärgerlichkeiten zählt ein wirklich frecher Preis für das Programmheft, in dem sich gleich beim ersten Blick die ersten Fehler dartun: der ursprünglich von Verdi vorgesehene italienische Titel La Maledizione heisst nicht Die Rache, aber woher soll Marie-Therese Rudolph das wissen? Wenn schon nicht sie, dann vielleicht ein Lektor? Die Biografie von Frau Prudnikovaite ist auch anderswoher kopiert und seit 2009 nicht aktualisiert worden.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum den Wiener Festwochen und ihrem Intendanten nichts Gescheiteres einfallen als ausgerechnet ein Verdi-Zyklus, wenn sie dann nicht bereit sind, mehr als das Normale darauf zu machen. Man kann dem Intendaten des Theaters an der Wien, Roland Geyer, nur zustimmen, dass es eigentlich in Zukunft keine Vermietung des Hauses mehr an die Festwochen geben soll. Da bringt er selber Besseres zusammen…

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