Rekonstruktionspasticcio

Das Festival Resonanzen 2012 bringt heuer eine kleine Opern-Sensation auf die (konzertante) Bühne: die für den Karneval 1742 in Wien komponierte Oper L’Oracolo in Messenia von Antonio Vivaldi, deren Musik verschollen ist – in einer Rekonstruktiomn von Fabio Biondi, dem Originalklang-Sachverständigen und Leiter des Ensembles Europa Galante.

Nun ist Rekonstruktion leider etwas übertrieben, und daher die Sensation kleiner als mancher das gern hätte: es wurde nicht die Musik Vivaldis rekonstruiert – was immer das heißen mag -, sondern ein Pasticcio. Das ist aber, gerade bei Barockmusik, ganz und gar nichts Ehrenrühriges, es ist nur wenig Vivaldi zu hören. Statt dessen wurden Arien von Giacometti, Broschi und eine von Adolph Hasse eingebaut.

Das ändert freilich wenig daran, dass sich mit diesem ‚Orakel von Messenien‘ eine ganz ordentliche Aufführung bestreiten läßt, noch dazu, wenn erstklassige Solisten engagiert sind:

Die Damenriege ist mit der schwedischen Mezzosopranistin Ann Hallenberg, der amerikanischen Koloratur-Mezzosopranistin Vivica Genaux und den Mezzos Franziska Gottwald und Romina Basso sowie der jungen russischen Sopranistin Julia Lezhneva außerordentlich besetzt. Mit dem norwegischen Tenor Magnus Staveland und dem katalanischen Counter Xavier Sabata sind auch die Männer herausragend vertreten.

Einziges Problem in diesem an sich erfolgversprechenden Projekt: der Große Saal im Wiener Konzerthaus ist fast schon zu groß für das kleine Ensemble: bei aller Liebe zum Orignalklang und zu originalen Besetzungen fehlt hier eine nicht unwesentliche Rücksichtnahme auf eine andere Originalkomponente: wirklich original wäre ein weitaus kleinerer Raum. Aber da kriegt man natürlich keine vergleichbaren Massen hinein… Da läuft der Alte Musik-Gedanke schutzlos in die moderne Vermarktungsmaschinerie. So schön es auch ist, dass immer mehr Menschen diese Musik entdecken und zu lieben beginnen, so fatal ist das für jede Bemühung um Authentizität.

Abgesehen davon aber ist es ein phänomenaler Abend geworden – der zum Glück noch weitere 7 Tage lang beim Kultursender Ö1 in voller Länge nachzuhören ist. Mit geeignetem Equipment lässt es sich sogar mitschneiden – das schadet gar nicht, denn sowohl die Kommentare von Bernhard Trebuch als auch die Interviews sind hilfreich, nachgerade wenn man weder das Abendprogramm noch den Resonanzen-Almanach zur Hand hat. Das Libretto gibt es (derzeit noch) in Deutsch und Italienisch bei Frabernardo.

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