Was ist Philosophie? Eine Polemik.

Um es mit dem Wiener Zaubermärchen-Dichter Ferdinand Raimund zu sagen:

Da streiten sich die Leut‘ herum, wohl um den Wert des Glücks, der eine heißt den andern dumm, am End‘ weiß keiner nix.

Freilich kann man jetzt sagen, eine solche Position verstehe Philosophie grundlegend falsch: sie habe mit Wissen nichts zu tun, sie verstehe sich als Wissenskritik. Aber wir wollen gar nicht an dieser Oberfläche stehen bleiben.

Der Philosophie eignet eine imposante Geschichte der Hervorbringungen: sie ist es gewesen, in deren Schoß die episteme, das theoretische Wissen im Gegensatz zum Können, der techne, zum Kern der späteren Wissenschaften herangewachsen ist. Wir können in der Antike beobachten, wie erste Disziplinen dieser Welterklärung sich herausbilden, und in der Renaissance, wie sie sich von der Philosophie ablösen, um ernsthaft produktiv werden zu können.

Ohne des Weiteren auf diese Prozesse eingehen zu wollen, wird doch klar, dass die modernen Wissenschaften ihre Wurzeln in der Philosophie haben, jedoch erst in Unabhängigkeit von ihr zu Relevanz gelangen. Das mag damit zusammen hängen, dass die mittelalterliche Philosophie ganz und gar von Theologie verseucht war.

Heute haben Philosophen zu Themen der Physik nichts mehr zu sagen, in erster Linie wohl, weil sie mathematisch nicht ausreichend gebildet sind, um da überhaupt noch mitreden zu können; sie verwechseln dabei allenfalls gesellschaftliches Reden über Physik – und das inkludiert moralische Fragen – mit dem Betrieb der Wissenschaft selber.

Ist das für die Physik ganz ohne Zweifel bereits historische Tatsache, so zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung im Bereich der Neurowissenschaften ab, und zwar in der Hinsicht, dass der Philosophie erneut ein Gegenstandsbereich abhanden zu kommen droht, den sie jahrhundertelang ergebnislos beackert hat, der aber offenbar nur in Ablösung von ihr fruchtbar zu betreiben ist.

Man könnte zugespitzt formulieren: irgendwann reicht es den Wissenschaftlern, dass die Philosophen sie mit unablässigem Geplapper am Arbeiten hindern. Wer wissen möchte, Wissen voranbringen möchte, kehrt am besten der Philosophie den Rücken. Es ist nämlich methodisch nicht einzusehen, warum man beständig über dualistische Konzepte diskutieren soll, wenn es nur einen einzigen Gegenstand der konkreten Forschung gibt – ein zweiter solcher hat sich entgegen dem Festhalten vieler Philosophen an der Geist-Konzeption bislang noch nicht greifen lassen.

So finden wir die Philosophie auf eine schrumpfende Inselwelt verbannt, wenngleich sich das aus der Perspektive der Philosophen natürlich alles ganz anders ausnimmt. Sie reden über alles, doch Relevanz hat das kaum. Odo Marquardt hat das vor vielen Jahren schon hintersinnig betitelt als die Inkompetenzkompensationskompetenz der Philosophie.

Bleibt als eines der letzten Refugien die Moral. Doch da sämtliche Fundierungsstrategien seit Jahrzehnten immer wieder darauf hinaus laufen, auf diskursiven oder sozialen Grundlegungen aufzubauen, scheint dieses Betätigungsfeld bereits von der Politik als konkreter Ausgestaltung des Diskursprozesses in Anspruch genommen. Die Politik macht hier die Arbeit, nicht die Philosophie.

Was bleibt, ist ein historischer Solipsismus, in dem sich prächtig im eigenen Saft schmoren lässt, oder eine Form von Denksport, inzwischen vollkommen abstrakt wie etwa das Schachspiel. Diese Ähnlichkeit ist in der Tat frappant: beide Spiele kann man ohne jeglichen Bezug zur Realität betreiben. Und bei beiden ist es vollkommen einerlei, was dabei herauskommt.

Im Gegenteil, Übergriffe der Philosophie oder von Philosophen auf die reale Welt haben sich noch nie als brauchbar erwiesen. Platons Ausflug in die Staatenlenkung hat sich bekanntlich als Fehlschlag herausgestellt, unter den Fittichen des Aristoteles ist der Weltreichzertrümmerer Alexander heran gewachsen, Augustinus hat dem allerunchristlichsten Gemetzel an den Häretikern das Wort geredet und Marxens Vergesellschaftung der Produktionsmittel hat nicht nur zu rückständigen Ökonomien geführt sondern zugleich jegliche Kompensation dieser Defizite in anderen Lebensbereichen vermissen lassen: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit

Aufgrund einer perfiden Ironie der Geschichte wurde aus dem Traum von der Freiheit der Alptraum des Gulag.

Aber das ist jetzt schon recht weit weg von der Philosophie, die ja im Wesenskern zutiefst harmlos ist. Je mehr philosophische Literatur ich lese, desto klarer manifestiert sich die Einsicht: bei all den heheren Debatten geht es ja um rein gar nichts. Schön ist das! Die Philosophie ist und bleibt eine nettes Pläsierchen.

Wiederum also ist es der Wiener Zaubermärchen-Dichter Ferdinand Raimund, dem wir die einzig vernünftige abschließende Einsicht zu verdanken haben:

… das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt‘s alle gleich.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert