Neu ist es ja nicht gerade, auch nicht in deutscher Übersetzung, das Original des epochalen Geschichtswerks, das Fernand Braudel unter dem simplen Titel Frankreich veröffentlicht hat, erschien im französischen Original bereits 1986.
Das Unterfangen ist nicht bedeutsam im herkömmlichen, monumentalen Sinn, dass es etwa besonders umfangreich wäre – die drei Bände ließen sich wohl durchaus in einem normalen Wälzer unterbringen -, und auch nicht, weil es fundamental neue Deutungen zu bieten hätte.
Es ist vielmehr die Methode, die Herangehensweise Braudels an die Geschichte seines Landes, die von Anfang an fasziniert. Es handelt sich nämlich keineswegs um eine geordnete Geschichtsdarstellung, das liegt seinen Intentionen völlig fern – Braudel gehört in die jüngere Generation der École des Annales genannten Historikerschule.
Daher lesen sich schon die eher quer zu den Erwartungen an ein solches Werk liegenden Untertitel der drei Bände reichlich ungewohnt:
- Band 1: Raum und Geschichte
- Band 2: Die Menschen und die Dinge
- Band 3: Die Dinge und die Menschen
Braudel verfolgt eine Strategie der Ursachenforschung und Einflussdarstellung, die zuvorderst einmal die Geografie einbezieht – was ja ansatzweise schon mancher Historiker geschrieben, aber noch kaum einer bis in seine Konsequenzen zu denken versucht hat.
In Braudels Darstellung spielt die Heterogenität im riesigen Raum Frankreichs die eigentliche Hauptrolle. Entwicklungen verlaufen asynchron, finden einerorts einen frühen Abschluss, anderorts später oder in manchen Fällen nie, scheinbar gleiche oder zumindest vergleichbare geografische Ausgangslagen münden in vollkommen verschiedene Gegenwarten. Seine konkreten Beispiele illustrieren die Schwierigkeiten – aber auch das enorme Potential – die in einer solch gefächerten Betrachtungsweise stecken.
Es ist keine politische Geschichte, die Braudel schreibt, Elemente einer solchen kommen hin und wieder als Marginalien vor, es ist eher Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mit einem Einschlag in zahllose Lokalgeschichten. Er versteht seine Geschichte Frankreichs als eine Summe zahlloser lokal und thematisch begrenzter Teilgeschichten – und unrecht hat er damit zweifelsohne nicht. Er fokussiert auch den Alltag der Menschen im Raume Frankreich, die wenigen herausgehobenen Persönlichkeiten und ihre eitlen Hervorbringungen läßt er dabei bevorzugt am Wegesrand liegen, die bedeutenden Taten interessieren ihn nicht.
Heraus kommt eine erfrischende Sicht auf die Dinge der Vergangenheit, auf eine Entwicklung, die nicht zwangsläufig – aber eben de facto – zu uns heutigen herauf führt. Die Lektüre zieht einen dabei in einen Sog, der seine Kraft auch über die drei Bände hinweg niemals verliert. Man würde sich solche Ansätze auch in der heimischen Geschichtsschreibung wünschen.