Man kann ja durchaus eine Menge lernen, wenn man sich in der Geschichte der Philosophie umblickt. Selbst so gängigen Werkzeugen wie Ockhams Rasiermesser lohnt es bisweilen, auf den Grund zu gehen.
Nun war ja Wilhelm von Ockham beileibe nicht der Erfinder des Ökonomieprinzips im Denken. Die Anwendung eines solchen geht bis tief in die griechische Antike zurück. Die Formulierung hingegen, wie auch die Zuschreibung an den Franziskaner Ockham, gehen auf weitaus spätere Urheber zurück.
Kurz gefaßt besagt dieses Prinzip nur: wenn etwas zur Erklärung einer Sache nichts beiträgt, kann man es getrost weglassen. Das ist nicht erst seit Bertrand Russel’s Warum ich kein Christ bin ein schlagendes – oder besser: scharf schneidendes – Argument gegen die Annahme eines schöpferischen Gottes.
Genau in dieser Funktion und zum beinah gleichen Zweck gebrauchte schon Ockham am Anfang des 14. Jahrhunderts dieses Prinzip, um sich aus dem spärlich kerzenerhellten Dämmerlicht des (später so genannten) Mittelalters aufzumachen in eine Zeit freieren Denkens: mit seiner Festsetzung der Theologie außerhalb der Philosophie als eben „keine Wissenschaft“ trat er den langen Weg der Entsakralisierung und Entmythologisierung der Welt an. Er hat sie beide keineswegs schon allein zu verantworten, doch steht er am Anfang dieses Wegs.
Aber Ockham stützte sein Denken und seine Methode auf zwei weitere Prinzipien, die nicht minder beherzigenswert sind: alle Erkenntnis muß, vereinfacht gesprochen, aus der Erfahrung stammen. So wie die heutige Wissenschaft – von der Ockham noch sehr weit entfernt war – ein zyklisches Spiel von Hypothese und Beweis treibt. Und zweitens das permanente Hinterfragen von Zusammenfügungen: nur wenn die Trennung von zwei Dingen, die zusammen gedacht werden, in Widersprüche führt, müssen sie „mit Notwendigkeit“ zusammen gedacht werden.
Insbesondere Ursache und Wirkung hat Ockham damit wieder getrennt. Selbst wenn die zeitliche Abfolge nahelegt, dass immer wenn A dann auch B, so läßt sich dennoch keineswegs auf einen Kausalzusammenhang schließen. Man kann A getrost Ursache nennen, doch aus der Erkenntnis der Ursache läßt sich nicht die Erkenntnis der Wirkung erschließen.
Was damit gesagt ist: das Feststellen einer gewissen Abfolgetreue von A und B erschließt keineswegs die am Werke befindlichen Mechanismen. Unsere Naturwissenschaft hat seit jeher immer und immer wieder lernen müssen, dass die technische Reproduzierbarkeit vielleicht ein Beweis der vorhersagenden Theorie, aber noch lange keine Erklärung ist. Denn die Erforschung der tieferen Zusammenhänge und Urgründe hat in immer tiefere Regionen geführt, in denen sich mehr Fakten aber immer weniger Notwendigkeit ansammelten. Zuletzt sind wir im Reich der Quanten auf undefinierbare Zustände und den regierenden Zufall gestossen.
Doch genauso wie das nun nicht das Ende des Fragbaren bedeutet, wird es auch nicht das Ende der Theoriebildung und der Erkenntnisvermehrung bedeuten. Und obwohl Newton’s Weltbild funktionabel war, hielt es dennoch nicht der Einstein’schen Revolution stand.
Warum wir in dieser – zugegeben: langwierigen – Suche nach Erklärungen und Weltverständnis irgendwann auf Gott oder andere Elemente der Religion stossen sollten, muss trotzdem schleierhaft bleiben. Gerade am Komplxitätsverbot Ockhams kommt die Metaphysik nicht mehr vorbei.
Der Franziskaner, den sein Papst gern inhaftiert und zum Schweigen gebracht hätte im Streit der Armutsgesinnung seines Ordens mit der prunkvollen Machtentfaltung der Kurie, hat mithin einen philosophischen Dreizack in Anschlag gebracht in dieser Auseinandersetzung:
- die Denkökonomie des geringsten ausreichenden Modells
- die Erfahrungsfundiertheit aller Erkenntnis
- die Trennbarkeitsprüfung aller Verknüpfungen
Mit dieser Waffe läßt sich trefflich streiten!