Im ersten Nachkriegsjahr 1919 wurde sie im Haus am Ring zum allerersten Mal der Welt vorgestellt und hat damit die Ehre, eine der wenigen erinnernswerten Uraufführungen, die an der Wiener Staatsoper jemals stattfanden, zu sein. Wahrlich zählt Die Frau ohne Schatten – gemeinsam mit der Elektra – zu den besten Werken des kongenialen Duos Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss.
Zwar haben die beiden auch eine Menge Schmarren zu verantworten, den operettenhaften Rovenkavalier oder die eher platte Ariadne, aber beide werden viel gespielt und offenbar auch gern gesehen. Ich kann ihnen wenig abgewinnen. Mit der Märchenerzählung von der Kaiserin aber, die keinen Schatten hat, und der Färbersgattin, deren Schatten sie sich zu erwerben anschickt, ist den beiden eine seltene Symbiose geglückt, die einmal mehr meine Theorie untermauert, dass zu einer guten Oper unbedingt ein gutes Libretto gehört – und dass sich so eins nicht aus Textfetzen kompilieren oder ganz und gar ohne berufenen Dichter selbst fabrizieren lässt. Librettist Hofmannsthal trägt entscheidend zur Qualität der Frau ohne Schatten bei, von ihm stammt die psychologische Tiefe, die Strauss zum Sprechen bringt.
Knapp vor der Jahrtausendwende, 1999, hatte diese Inszenierung des Engländers Robert Carson in Wien Premiere, und ist damit eine der Perlen der rumänischen Ära; tief in der zweiten Spielzeit der französischen Ära können wir nun erst ermessen, dass die andere in einzelnen Produktionen so schlecht doch nicht war. Fraglich ist, warum ein Werk und eine Inszenierung dieser Kategorie zwischen 2003 und heuer in der Mottenkiste schlummern mussten. Direktor Meyer gebührt Applaus dafür, sie wieder hervor geholt zu haben.
Das Regiekonzept ist stringent, hier passt einmal die Psychologisierung perfekt zur Geschichte, ist diese doch schon in ihre angelegt, was man von älteren Libretti nicht sagen kann; dem Dichter Hofmannsthal waren Freud und seine Lehren ein Begriff wie sie sich in ihrer Zeit geradezu greifbar manifestierten. Robert Carson bringt kräftige Bilder, weiß sein Personal zu führen – hier wird einmal keine Stehpartie gesungen – und hat keinerlei Rückgriffe in die Kiste mit den Kalauern nötig.
Das führende Paar der Oper, Kaiser Robert Dean Smith und seine Kaiserin Adrianne Pieczonka, hinterlassen einen eher zwiespältigen Eindruck: ihm gebricht es an Volumen in dieser orchesterseits lauten Partitur, sie singt wunderbar und über das Orchester hinweg, doch hat sie die schauspielerischen Fähigkeiten einer Tontaube. In diesem Regiekonzept wirkt das aber störend.
Herausragend dagegen des Färbers Weib, die Hamburgerin Evelyn Herlitzius: sie spielt, was gemeint ist, und singt, was Strauss komponiert hat, beides für sich genial und obendrein kongenial vereinigt. Wirklich eine atemberaubende Darbietung.
Gleichfalls in beiden Fächern brillant präsentiert sich der Färber Barak des Münchener Baritons Wolfgang Koch. Er ist hilfloser Tölpel und beständiger Reibebaum seiner ex- und ego-zentrischen Frau, ihm wohnt aber die Kraft inne, sich zu bewähren – und genau das singt er auch.
Die dritte Paarung, wenn man so will, Geisterbote Wolfgang Bankl und Amme Birgit Remmert, sind solide besetzt und gesanglich geerdet. Die großen Momente lässt insbesondere die Amme kaum ungenutzt verstreichen.
Das zahllose weitere Personal ist aus dem Hause gut besetzt, stimmlich sticht dabei Zoryana Kushpler heraus, aber auch Ileana Tonca und Stephanie Houtzeel gefallen.
Über zwei Akte gelingt dem Generalmusikdirektor – ein an und für sich musilesker Titel in unserer Zeit – Franz Welser-Möst am Pult des Staatsopernorchesters eine wenn zwar laute so doch perfekte Interpretation der strauss’schen Klangwalze.
Der dritte Akt allerdings versteigt sich ins Ätherische, Dünne, Blöde. Trotz Carsons psychoanalytischer Deutung gleitet die Geschichte ins Esoterische ab. Anstelle einer Auflösung, die das vielleicht anno dazumal – was aber auch zu bezweifeln ist – dargestellt haben mag, wird das Märchen ins Erlöserische gewendet. Und was dem Dichter spottet, tut auch dem Musiker nicht gut: er findet nicht mehr zur Kraft der ersten beiden Akte, versteigt sich in Klängen, vergisst Akzente zu setzen.
Der diffuse Unsinn kulminiert, und der Schluss ist endgültig misslungen: Hofmannsthal deliriert in unverständlichen Wortschwällen, Strauss findet darüber kein rechtes Ende – und folglich weiß Carson auch nicht mehr, was er mit seinem Personal auf der Bühne anfangen soll. Fazit: man kann in der zweiten Pause gehen, ohne noch was zu versäumen.
Dennoch: die Frau ohne Schatten ist ein Werk höchster Güte und eins der besten des Opernkomponisten Richard Strauss, die Wiener Inszenierung von 1999 durchaus nicht verstaubt, wie sonst am Hause üblich, sondern mehr als lebendig, lediglich die Besetzung wäre teils noch verbesserungswürdig.