Danke, Jungs!

Nicht erst seit Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters stellt sich die Frage nach denen, die eigentlich die Arbeit gemacht, die Leiden erlitten, die Schlachten ausgefochten haben, welche die Geschichtsschreibung den Mächtigen und Großen zuschreibt.

Selbst wenn man geneigt ist, zu glauben, der Zweite Weltkrieg wäre nun doch schon eingehend erforscht, gelingt Historikern doch immer wieder ein neuer Blick. Paul Kennedy, Professor für Geschichte an der Yale University, hat sich in Die Casablanca-Strategie: Wie die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen einer so interessanten Fragestellung angenommen, dass es fast schon unglaubwürdig erscheint, dass er dabei der erste sein soll…

Wer gewann den Krieg? Und das bedeutet bei Kennedy: wem ist es zu danken, dass zwischen Januar 1943, als Churchill und Roosevelt einander in Casablanca trafen und die Alliierten noch keineswegs auf der Siegerstraße waren, und Juni 1944, als mit der erfolgreichen Invasion in der Normandie das Ende des Dritten Reiches besiegelt war, die wesentlichen Weichenstellungen für den Sieg gestellt wurden – und wer waren die Menschen hinter diesen Durchbrüchen?

Paul Kennedy findet heraus: manche von ihnen haben Namen und Rolle, andere sind eine anonyme Truppe von Handelnden auf mittlerer Ebene, denen es übertragen ist, die Strategie, die ihre Regierungschefs wohltönend verabschiedet haben, zum Leben zu erwecken.

In fünf kapiteln geht der Autor den entscheidenden fünf Fragen auf den Grund:

  • wie schickt man Geleitzüge sicher über den Atlantik?
  • Wie erringt man die Luftherrschaft?
  • Wie stoppt man einen Blitzkrieg?
  • Wie erobert man eine feindliche Küste?
  • Wie überwindet man die „Tyrannei der Distanz“ im Pazifik?

Aus der Abfolge wird auch schnell klar, dass die Lösung jeder dieser Fragen jeweils die Voraussetzungen für die Lösbarkeit der nächsten bildete. Dei Luftherrschaft über England und dann über dem Invasionsgebiet wäre nicht zu erreichen gewesen ohne die massive Aufrüstung der Royal Air Force – und damit der möglichst verlustfreien Nachschublinien über den Atlantik. Und die Operation „Overlord“ wäre unmöglich durchzuführen gewesen ohne sowohl die Luftüberlegenheit als auch die Massierung von Menschen und Material.

Andere Zusammenhänge sind nicht auf den ersten Blick greifbar: obwohl die Westalliierten es bis zum Sommer 1944 nicht schafften, eine zweite Front im Westen zu eröffnen, sorgten doch ihre Bombardements für die Bindung starker Kräfte im Deutschen Reich, die sonst womöglich an der Ostfront hätten eingesetzt werden können, wie auch die Bedrohung durch die jederzeit mögliche Invasion weitere wichtige Kräfte in Frankreich band.

Interessant sind die Subgeschichten technischer Entwicklungen: viele neue Technologien und Waffensysteme tauchten nicht einfach aus dem Nichts auf, der sowjetische T-34 Panzer oder der britisch-amerikanische Mustang-Jäger, sie waren vielmehr Ergebnisse schrittweiser Weiterentwicklungen und Verbesserungen von Vorläufern – und entscheidende Schritte scheinen der zufälligen Anwesenheit ganz bestimmter Individuen geschuldet.

Die schlimmste Erkenntnis des Buches ist aber, dass die Wende in diesem Krieg keineswegs ausgemacht war, wie wir gerne glauben. Die enorme Überlegenheit der Ressourcen insbesondere Amerikas musste langfristig zur Niederlage der Achsenmächte führen, erschreckend ist dabei aber, zu welchem Zeithorizont man kommt, wenn man die entscheidenden technischen und strategischen Durchbrüche ausblendet; und wenn man berücksichtigt, dass die Produktion der Vereinigten Staaten erst 1944 jene des Deutschen Reiches zu überflügeln vermochte.

Man möchte den vielen unbekannten Entwicklern und Umsetzern dieses Sieges zurufen: Danke, Jungs, dass ihr uns da raus gehauen habt!

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