Der evangelische Pfarrer Andreas Goetze widmet sich der Frühgeschichte des Islam, der Mohammed-Legende und der Entstehung des Koran: das könnte man eigentlich als einen feindlichen Angriff auf eine gegnerische Religion werten. Andererseits ist es aber bei der höchst unwissenschaftlichen Situation in der traditionellen Islamwissenschaft bitter nötig, dass der Stand der Diskussion auch für einen breiteren Zugang zusammen gefasst wird.
Pfarrer Goetze bemüht sich in Religion fällt nicht vom Himmel: Die ersten Jahrhunderte des Islams fortwährend, jeden Gedanken an Islamophobie von sich zu weisen. Aber man kann sich halt gegen solche Totschlagargumente genauso wenig zur Wehr setzen wie gegen die Empörung über Kritik an Israel oder den Schutz von religiösen Doktrinen gegen Karikaturen. So ist es also unumgänglich, zu fragen: darf der das?
Unsere Wissenschaft hat in sehr langer Tradition ein Methodenrepertoire entwickelt, das auch Methodenkritik und Methoden zur Weiterentwicklung der Methoden enthält. Und sie hat sich das Recht herausgenommen, über alles und jedes zu forschen – sehr zum Unwillen unserer eigenen dominierenden Religionsgemeinschaften. Jetzt kann man aber natürlich auf dem Standpunkt stehen, dass es einen typischen eurozentristischen Übergriff auf eine andere Welt darstellt, einfach den Islam und seine Überlieferung diesen Methoden zu unterziehen, wo die Herrschaften das doch gar nicht wollen, getreu dem Motto: geht uns das was an?
Nein, es geht uns nichts an. Es ist ein perfides Zerstörungswerk, das da in Szene gesetzt wird: indem wir eine Sammlung von Märchen wissenschaftlich untersuchen, nimmt ihre Glaubwürdigkeit zwangsläufig Schaden, verlieren ihre Proponenten automatisch an Einfluss. Und es ist in tiefster Tiefe nichts anderes als ein Gewaltakt, unsere Methode über den Glauben der anderen zu stellen und mit dieser Methode das andere zu zersetzen. Der fundamentale Unterschied zu denen ist jedoch, dass wir auch das wissen.
Dass uns das nichts angeht, ist umgekehrt aber nichts anderes als Dialogverweigerung. Wir sind nämlich nicht dazu verpflichtet, etwas ernst zu nehmen, das sich nicht näher untersuchen lassen will. Und hier sind wir an einem Punkt angelangt, wo das reale Leben – als Zusammenleben dieser unterschiedlichen Weltanschauungen in einer medial und durch Migration zusammenwachsenden Welt – die Beteiligten dazu zwingt, beide fundamentalen Positionen aufzugeben. Uns kann es nicht mehr einfach nur wurst sein – und die dürfen nicht erwarten, dass wir ihnen den Schmus ung’schaut abkaufen, schon gar ihnen Rechte einräumen, ohne die Dinge nach unterer Art zu betrachten.
Grundsätzlich ist Religion reine Privatsache. Es darf wirklich jeder beten und glauben, was er oder sie will. Allerdings gibt es einen gesellschaftlichen Vorraum, in dem diese absolute Freiheit nicht mehr uneingeschränkt gilt. Als Gesellschaft können wir es nicht dulden, dass individuelle Rechte, die wir nun mal als das Fundament ebendieser unserer Gesellschaft ansehen, auf der oppositionellen Grundlage irgendeines Märchenbuches außer Kraft gesetzt werden. Wenn in Anatolien türkische Väter ihre Töchter erschlagen, ist das ein Problem der türkischen Gesellschaft. Wenn sie es bei uns tun, ist das ein Fall für den Staatsanwalt.
Aber mehr noch: wir haben doch nicht etliche Jahrhunderte lang mit Strömen von Blut dafür bezahlt, dass unsere landläufigen Märchenbücher und Märchenerzähler aus der politischen Bedeutung gedrängt werden konnten, um jetzt irgendwelchen anderen Märchenbüchern und Märchenerzählern eine Rolle zuzugestehen, die sie nicht rechtfertigen können. Und beim Rechtfertigen kommt eben die bei uns inzwischen traditionelle wissenschaftliche Betrachtungsweise ins Spiel: wir dürfen fragen, alles und jedes hinterfragen, alles und jedes ist uns Antwort schuldig. Unsere Methode zu glauben ist es, Fragen zu stellen und die Antworten zu prüfen.
Im Gefolge einiger weniger Islamwissenschafter moderner Prägung, die nicht länger bereit sind, die verbreitete Überlieferung weiter ungefragt zu tradieren, stellt Goetze das Fehlen jeglicher historischer Spuren des Islam von seiner vermeintlichen Begründung durch einen Propheten Mohammed sowie der rasanten Ausbreitung im 7. und 8. Jahrhundert den existierenden Quellen gegenüber: es gibt in ausserislamischen Quellen keine islamische Eroberung, es gibt wohl aber Ausbreitung und Wechselwirkung zwischen christlichen Konfessionen unterschiedlicher Prägung. Und es gibt deutliche Spuren christlicher Quellen im Koran. Das lässt sich als Hypothese sogar soweit zuspitzen, dass der Koran aus einer Liturgiesammlung einer der Ostkirchen entstanden sei.
Natürlich spießt sich das mit dem Einzigkeits- und Wahrheitsanspruch, den monotheistische Religionen so an sich haben. Obwohl es für das Glauben solcher Geschichten unerheblich ist, ob sie wahr sind oder nicht; denn allein die Existenz alternativer Behauptungen müsste zum Nachdenken führen, produziert aber meistens gewaltsame Auseinandersetzungen. Daraus lässt sich ableiten, dass es für den Glauben von vornherein egal ist, ob das Geglaubte wahr ist. Man muss nur glauben, es sei wahr.
Betrachtet man Religion als das, was sie ist: als Dummheit, ist die ganze Diskussion hier sowieso zu Ende. Es bleibt ein historisches Interesse, das sich auf die Frühgeschichte des Islam genauso zu richten vermag wie auf die Entwicklung des Flohbeutels am Hof von Versailles. Dass das eine Thema mehr zum Zündeln taugt als das andere, liegt aber beileibe nicht an der historischen Forschung.
Als Buch hinterlässt Religion fällt nicht vom Himmel einen zwiespältigen Eindruck: wissenschaftliche Quellenkritik und das Referieren auch abweichender Anschauungen sind die Positiva; ganze Kapitel, die Pfarrer Goetze dem Versuch widmet, die theologischen Verrenkungen um die Trinität zu erklären und die verschiedenen Glaubensgrundsätze auseinander zu dividieren, sind schlicht lähmend. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die geballte Energie, die jahrhundertelang in diesen offensichtlichen Unsinn investiert wurde, zentral verantwortlich für den Niedergang der Kultur von der heidnischen Antike ins christliche Mittelalter gewesen sein könnte.
Wirklich ärgerlich ist aber die verlegerische Leistung: ich bin geneigt, anzunehmen, dass Pfarrer Goetze die vier Fälle der deutschen Sprache eigentlich unterscheiden kann, genauso wie er vermutlich Nebensätze grammatikalisch korrekt bilden kann und Singular wie Plural regelgemäß zu bilden vermag. Also muss es an Schlampigkeit liegen: der des Autors, so einen Text überhaupt abzugeben, und der des Lektorats, ihn gar nicht erst gelesen zu haben. Es ist schon Negativrekord, auf vierhundert Seiten einen Durchschnitt von drei Fehlern pro Seite durchzuhalten. Das erinnert ein Wenig an die Beurteilung eines Schulaufsatzes: guter Inhalt, aber diese Fehler!!!
Ein Gedanke zu “Aber diese Fehler!!!”
Andreas Goetze hat mit seinem Buch dem interreligiösen Dialog mit Muslimen in der Tat einen außerordentlich schlechten Dienst erwiesen. Die Herausstellung gemeinsamer Wurzeln von Christentum und Islam läuft bei Goetze und den Vertretern der Saarbrücker Schule (wie Chr. Luxenberg, K.-H. Ohlig, A. Goetze u. a.) auf eine „Gemeinsamkeit“ von Christentum und Islam hinaus, die Letzterem das Fundament einer gestifteten Offenbarungsreligion unter den Füßen wegzieht (Goetze, ebda., S. 355f, 361, 374ff, 391f), die Gestalt des Propheten Mohammed zur Fiktion degradiert (S. 292ff, 312ff, 314ff, 316f, 322ff, 325ff, 329ff, 332f) und die ältesten literarischen Schichten der koranischen Verkündigung (S. 252) bis zu 100% in das christliche Erbe vereinnahmt. Das auch von Goetze erhobene Verdikt der Epigonalität des Korans (S. 252.268ff.278ff) und damit der fehlenden Inspiriertheit (vgl. dagegen Sure 53, 4ff.10f), die Behauptung der Textmanipulation christlicher Subtexte des Korans im machtpolitischen Interesse der abbasidischen Dynastie (dazu s. u.) dürfte kaum in einen echten interreligiösen Dialog auf der Augenhöhe einer gestifteten Offenbarungsreligion einmünden. Bei Goetze, der einen solchen Dialog gleichwohl führen möchte (S. 27, 38f, 349, 361, 392 u.ö.; vgl. S. 489), kommt es jedoch eher zu einer Neuauflage einer Religionsenteignungstrategie, die zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon einmal, und zwar gegenüber dem Judentum angewandt wurde (vgl. den Babel-Bibel-Streit, in dem das Alte Testament und damit das Judentum als Plagiat und Abklatsch der altbabylonischen Religion abgewertet wurde; so von Friedrich Delitzsch in seinem Buch „Die große Täuschung“ von 1921).
Mein Vorgänger-Rezensent harbran meint nun, die Saarbrücker bzw. Goetze’sche Gründungskomplott-Theorie zur Frühgeschichte des Islams wäre wissenschaftlich seriös begründet. Das aber stimmt ganz und gar nicht; das genaue Gegenteil ist der Fall. Da nach rund 100 Jahren von der Saarbrücker Schule und Goetze im Ergebnis erneut eine Weltreligion zum gigantischen Fälschungswerk erklärt wird (vgl. S. 276ff, 282ff, etc.), ist – nach den Erfahrungen mit einigen Vertretern der radikalen religionsgeschichtlichen Schule (wie F. Delitzsch, P. Jensen, u. a.) – auch hier wieder festzustellen, dass die Forschungsergebnisse – diesmal der sog. Saarbrücker Schule – in wissenschaftlicher Hinsicht überhaupt nicht tragfähig sind. Renommierte und international anerkannte Arabisten und Islamwissenschaftler wie Tilman Nagel und Angelika Neuwirth u. v. a. bezweifeln das durchgängig mit überzeugenden Argumenten. T. Nagel (Mohammed – Leben und Legende, München, 2008, S. 839) schreibt in Hinsicht auf die von Goetze vehement favorisierte Saarbrücker These des abbasidischen Religionsgründungskomplotts mithilfe christlicher Subtexte (Goetze, S. 252ff, 268ff, 278ff) ab 749 (S. 276ff, 282ff u. ö.): „Wohl nur, wenn man das vor- und frühislamische arabische Schrifttum nicht kennt, kann man auf den Gedanken verfallen, es hätten sich einige Leute zusammengesetzt und gut einhundertundfünfzig Jahre Vergangenheit mit Tausenden von handelnden Personen, mit widereinander streitenden religiösen und politischen Strömungen, mit unterschiedlichen Auslegungen ein und desselben Ereignisses usw. zusammenfabuliert.“ A. Neuwirth schreibt mit Hinblick auf jüngste Forschungen zur sog. uthmanischen Textbasis des Korans (dies., Der Koran, Bd. 1: Frühmekkanische Suren, Berlin 2011, S. 24f): „Damit haben alle noch in Umlauf befindlichen Spekulationen über eine erst sukzessive Entwicklung des Korantextes oder die nicht gesicherte ,Echtheit` von Einzeltexten, die erst von der späteren Gemeinde umgeschrieben oder überhaupt erst in einer späteren Zeit um einen imaginierten Propheten herum konstruiert worden seien, ihre Grundlage verloren.“
Der Wert des Goetze’schen Buches liegt vielleicht in der popularisierenden Zusammenstellung der „Forschungen“ der Saarbrücker Schule, die sonst auf viele dem interessierten Laien kaum zugängliche und nur schwer verständliche Einzelpublikationen verstreut sind. Da aber Goetze meist nur Literatur kompiliert, die seiner „Saarbrücker“ Argumentationsrichtung entspricht und sich nur sehr selektiv mit der an den Originalquellen erprobten etablierten Forschermeinung auseinandersetzt, erlaubt er dem Leser kaum eine urteilsfähige Distanz zu den von ihm selbst meist bloß unkritisch referierten und wissenschaftlich kaum haltbaren Hypothesen der Saarbrücker Schule.
Diese Saarbrücker Hypothesen sind belastet mit denselben gravierenden wissenschaftlichen und methodologischen Mängeln, die wir auch von den extremen Vertretern der Religionsgeschichtlichen Schule her kennen: wie etwa der Missachtung, bzw. Manipulation der jeweiligen semitischen Grammatik (S. 183ff), der hocharbiträren Konjekturpraxis (S. 159ff, 247, 259ff, 364, etc.), der kurzschlüssig angewandten Numismatik (S. 164ff, 312, 401ff), der oft bloß zirkulären Argumentation, der an entscheidenden Stellen fehlenden Begriffschärfe (vgl. S. 63ff, 68ff, etc.: aramäisches Denken“; vgl. S. 147ff, 386, 389, etc.: Interferenz“ oder „Sprachmischung“; vgl. S. 159ff, 247, 259ff, 364, etc.: Etymologie als „Schlüsselwissen-schaft“). Zu dem argumentativ hohen Anteil an selbstimmunisierenden, blackbox-artigen Postulaten zur Textüberlieferung (s. o. zu F. Deroche, B. Sadeghi, A. Neuwirth) kommen willkürliche Schriftzeichen-, Etymologie- und Symbolspekulationen (S. 319, 222ff, 320, etc.), welche die erheblichen Argumentationslücken überdecken helfen. Daher charakterisiert A. Neuwirth (FU Berlin), die an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften das Projekt Corpus Coranicum leitet, die Forschungsergebnisse der Saarbrücker Schule nicht nur als unwissenschaftlich, sondern auch als „ideologisch eingefärbt“, „tendenzgesteuert“, „irritierend kurzschlüssig“, als „polemisch motivierte Spekulation“. Sie beschreibt die Saarbrücker Position dahingehend, dass sich hier „eine offen zur Schau gestellte apologetische Grundhaltung“ äußert, „die den Forderungen einer ergebnisoffenen Forschung hohnspricht.“ (dies., Der Koran als Text der Spätantike – ein europäischer Zugang, Berlin, 2010, S. 100f). A. Neuwirth besteht darauf, dass der Koran entgegen allen neuerdings erhobenen revisionistischen Thesen zur Religionsgeschichte „als ein genuines und historisch dokumentierbares Zeugnis der Entstehung einer neuen Religion anzuerkennen“ ist und „die dritte heilige Schrift des Monotheismus endlich auf Augenhöhe mit den anderen“ gestellt werden muss (ebd., S. 119). Eine andere Basis für den interreligiösen Dialog ist nicht denkbar. Friedrich Murthum bezeichnet das den Islam inferiorisierende Buch Goetzes im Deutschen Pfarrerblatt 112, Heft 5, Speyer, 2012, S. 276.281 zu Recht als „für Muslime reine Provokation“. Ich verweise auf meine ausführliche Rezension in HIKMA, III, 4, 2012, S. 30-58 (zusammen mit Harald Faber) und im Journal of Religious Culture (hg. E. Weber), Nr. 180, Frankfurt a. M., 2013 (im Internet abrufbar).
Bleibt als Kuriosum noch anzumerken, dass Pfarrer Andreas Goetze 2012 von der Berlin-Brandenburgischen Kirche (EKBO) und dem Berliner Missionswerk zum Landespfarrer für den interreligiösen Dialog insbesondere mit Muslimen berufen wurde.