Langsam bekomme ich den Eindruck, die Oper des zwanzigsten Jahrhunderts bestehe fast ausschließlich aus Benjamin Britten. Mit öder Regelmäßigkeit setzt das Theater an der Wien in jeder Saison Britten auf den Spielplan, Britten, und wieder Britten, als gäbe es sonst nichts in der Literatur des letzten Jahrhunderts.
Das Traurige ist: Britten ist eine Plage des sogenannten zeitgenössischen Repertoires, er steht so mancher wesentlich besseren Entdeckung schattenspendend im Licht.
Wohl: Britten hat ein umfangreiches Oevre an Bühnenwerken hinterlassen – und sie stehen alle in einem harmlosen musikalischen Idiom. Denn Britten ist der akklamierte Ausweis der hartnäckigen Rückständigkeit, in der die englische Musik sich im Zwanzigsten Jahrhundert gefällt. An ihm, der bis 1976 lebte, ist die gesamte musikalische Entwicklung seit Schönberg nahezu spurlos vorüber gegangen. Dafür greift er gerne in den Fundus der Geschichte und bedient sich des alten Formenkanons in nahezu musealer Weise: Fundstücke ausstellend, bisweilen mit rotem Faden.
Also gibt man zur Saisoneröffnung The Turn of the Screw. Es ist ein gut gebautes Werk, insbesondere seine inhärenten musikalischen Strukturen sind bemerkenswert. Die Geschichte dagegen – sie stammt aus einer Erzählung des Amerikaners Henry James – ist eher abseitig; auch das Libretto von Myfanwy Piper bemüht sich nicht um Stringenz. Das ganze gehört in die Abteilung Was ich nie lesen würde.
Wer wie ich wenig Freude mit dem Werk hat, kann natürlich auch nicht beurteilen, ob das ORF Radio-Symphonieorchester unter Cornelius Meister hier bedeutendes leistet. Brittens monotone Gesangslinien geben auch Nikolai Schukoff, Sally Matthews, Ann Murray oder Jennifer Larmore wenig Gelegenheit, sich zu profilieren.
Dass Britten hier in epischer Breite Kinderstimmen einsetzt, trägt auch nicht gerade zur Freude bei – man muss das schon mögen, und eben das tu‘ ich nicht. Notwendig wäre das nicht, denn in James‘ Vorlage sind die Kinder stumme Gestalten.
Ein nicht allzu gelungener Abend, das jedoch war vorhersehbar.