Aus der großen Zeit der neuen britischen Musik

wien modern. Dass die britische Musik ein mehrere Jahrhunderte dauerndes Tief hatte, dessen gefeierten aber deswegen nicht minder matten letzten Höhepunkt Benjamin Britten markiert, ist allgemein bekannt; dass es im letzten Viertel des alten Jahrhunderts aber einen ersten ernsthaften Profilgewinn zu verzeichnen gab, ist dagegen an vielen unbemerkt vorüber gegangen.

So ist es dem Festival für Musik der Gegenwart – wie wien modern neuerdings heisst – zu danken, das heuer einen Schwerpunkt englischer Neuer Musik programmiert, dass wir davon auch etwas mitbekommen. Im Gefolge von Birtwistle, Ferneyhough und Davies hat sich sogar eine junge Generation etabliert, deren Schaffen durchaus Anschluss gefunden hat an die kontinentale Entwicklung.

Wunderbar zu hören ist das in Man Shoots Strangers from Skyscrapers für 8 Instrumentalisten von Luke Bedford, das mit überraschenden Abzweigungen des musikalischen Geschehens arbeitet, wie das etwas Luis Bunuel im filmischen Vorbild Das Gespenst der Freiheit tat.

Das London Sinfonietta bringt unter Dirigent Franck Ollu ansonsten ein Programm mit Meilensteinen aus dem alten Jahrhundert:

Der hauptsächlich in Paris ausgebildete George Benjamin ist einer, der nachweislich Verdienste um die Entwicklung einer fundamental neuen Musiksprache erworben hat – At First Sight arbeitet mit dem Verschwimmen und Verschwinden deutlicher Konturen.

Simon Holt vermag mit Lilith nicht nur ein Porträt des Dunklen, Geheimnisvollen, Schemenhaften zu formulieren, seine Sprache ist eine Art Pointilismus musikalischer Mikroteile.

Der Gigant in dieser Runde ist aber der eher unorthodoxe Harrison Birtwistle: Silbury Air für Kammerensemble ist frei von jeglicher Furcht vor dem Rhythmus, ja nutzt ihn als Gerüst der Komposition. Beim Hören wird rasch klar, dass stringente Bezüge in die klassische Moderne vorliegen, doch dauert es eine Weile, ehe man bei Stravinskij angelangt ist. Doch da ist Birtwistle längst weiter in seiner extrem vielgestalten Rhythmik – er ist sicher der bei weitem innovativste und originellste der neuen britischen Komponisten-Generation.

Zum Schluss bringt Thomas Adès in Living Toys für Kammerensemble noch Anklänge an den freien Big Band Jazz etwa der Ära Gil Evans‘ Monday Night Orchestra zu Klang.

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