Blutiges Handwerk

Da saßen wir und erwarteten den Beginn der Vorstellung: der Herr in der Reihe hinter mir sagte, es sei doch die Met ein charakterloses Opernhaus – was er im Zusammenhange verständlich auf die Architektur gemeint hatte.

Ich aber hatte einen Blick in den Spielplan der Staatsoper geworfen und wußte, dass eben dieser Abend eine musikalische Neueinstudierung der Meistersinger unter Christian Thielemann brachte… und war froh, lieber im Kinosaal auf den Beginn der Übertragung aus der Met zu warten. Nicht dass es gegen Wagner gehen soll oder gegen die musikalischen Qualitäten dieser Neueinstudierung, aber gegen den Unsinn eines solchen Vorhabens, wenn dabei die mopsige Inszenierung von dem von mir beharrlich verabscheuten Otto Schenk stammt. Man kann es in der Tat bedeutend schlimmer erwischen, als eine Opernaufführung im Kino zu geniessen.

Die Übertragung in High Definition hat schon beim ersten Mal beeindruckt – auch der Raumklang. Beides, die Nähe des Kamera-unterstützten Auges zum Geschehen, die Nähe der Sänger im Close-Up, und dabei die brillante Akustik, verschaffen ein Opernerlebnis, das nicht im Wohnzimmer noch in wirklichen Häusern zu haben ist – denn HDTV ist noch nicht leistbar, noch gibt es Einspielungen, noch kann das Spechteln durchs Opernglas da auch nur annähernd mit.

Dieser hochmodernen Technik ist es auch zu danken, dass Maria Guleghina als Lady Macbeth noch viel eindringlicher Schauer erzeugt, als man dies vielleicht gewohnt ist. Wir stehen mitten im Geschehen, wie es sonst nur der Film zu erzeugen vermag, und haben dennoch das hautnahe Erlebnis Oper.

Verdis Macbeth unter James Levine in einer Inszenierung des Engländers Adrian Noble greift in die tiefe Kiste des Naheliegenden: natürlich drängt der Stoff, selbst in seiner Verkürzung durch Verdi, nach Aktualisierung, nach dem Herüberziehen seiner vielfältigen Bedeutungen in unsere Gegenwart, die das Waten im Blut noch nicht verlernt hat.

Der serbische Tenor Zeljko Lucic, auch in Wien schon an der Staatsoper (in dieser Saison den Germont in der Traviata) sang, legte seinen Macbeth jenseits des brutalen Schlächters in schwankendem Irresein an, zwischen der Zuversicht, das alles, was Gewalt erficht, am Ende gutgehen möge, und der schieren, tiefen Verzweiflung, die ihn schließlich um Verstand und Leben bringt.

Wenn man bedenkt, dass das Sitzen in bequemen Fauteuils den hölzernen Klappstühlen der Staatsoper – oder auch des Theaters an der Wien, das derselben Komfortklasse angehört – eindeutig überlegen ist. Man hört besser und sieht mehr – gut, es ist irgendwie nicht ganz original… Aber lieber als ein Abend in der gestaltenden Hand Otto Schenks wär’s mir wohl auch auf Staatsopernsesseln gewesen!

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