Schief gehen sollte da ja eigentlich rein nichts können oder dürfen: der große Dichter Pablo Neruda ist eine perfekt bühnentaugliche Figur, die Novellenvorlage von Antonio Skármeta bürgt für eine stringente und für Opernverhältnisse geradezu verblüffend vernünftige Geschichte – auch der wunderbar lyrische Film von Michael Radford liegt abrufbereit im Kopf bereit; kombiniert mit der zwischen Debussy und Puccini chargierenden Musik ergibt das ein recht singbares Stück, das auch für einen alternden Startenor noch zugkräftige Passagen bietet.
Was also will man mehr? Eine moderne Oper zum Beispiel: eine Oper, die ausser der Zeitgenossenschaft des Komponisten noch etwas mehr mit der Gegenwart des 21. Jahrhunderts zu tun hat. An seiner musikalischen Zeit geht das Werk aber vollkommen vorbei. Man kann sagen: das war nun aber gar nichts.
Mit der europäischen Erstaufführung Il Postino des Mexikaners Daniel Catán hat das Theater an der Wien sein Programm zeitgenössischer Oper fortgesetzt, allerdings war davon nichts zu merken. Musikalisch ist das Stück bis hin zur Mattigkeit dezent, romantizistische Dutzendware, die man so hätte in der zweiten und dritten Reihe des romantischen Opernrepertoires genausogut finden können. Gut, Plácido Domingo hat sie sich in seiner Rolle als Leiter der Los Angeles Opera, mit der das Werk auch co-produziert ist, auf die Kehle schreiben lassen, immerhin – und ist dabei kein Risiko eingegangen.
Wenig verwunderlich also, dass dem Startenor damit ein reputierlicher Auftritt gelingt. Der Komponist hat ihm lyrische Passagen geschrieben, die ganz gut zur etwas reduzierten Stimme des alten Herrn passen. Und das ist nicht einmal böse gemeint.
Das Gute an dem Stück liegt zur Gänze ausserhalb seiner: die Geschichte ist erfrischend sinnfällig, Nerudas Texte eignen sich bestens zur Vertonung, ohne dabei auch nur entfernt ähnlich blödsinnig anzukommen wie landläufige Arientexte, den Film abzukupfern stellt auch das Leading Team vor keine allzu großen Schwierigkeiten. Man könnte also zufrieden sein.
Die Partitur ist allerdings recht magerer Käse. Dies Musik schleppt sich bar jeglichen Ereignisses oder Höhepunktes hin, einzig in der vorletzten Szene, wo der Dichter vom Tod seines Postmanns erfährt, ist einigermassen dicht geraten und läßt erahnen, was da potentiell liegen gelassen wurde.
Natürlich ist unter diesen Voraussetzungen für niemanden zu glänzen, in dem Stück nicht und neben Domingo sowieso nicht. Bemerkenswert trotzdem das jugendliche Paar: die junge Italienerin Amanda Squitieri in der Rolle der Beatrice begeistert durch Frische und eine eindringliche, volle Stimme, präzise Phrasierung und glaubwürdiges Spiel.
Neben ihr liefert der Madrider Tenor Israel Lozano als Postbote Mario ein liebevoll gezeichnetes Portrait des einfachen Menschen ab, der von der Poesie des großen Dichters überwältigt wird, stimmlich aber vollkommen unterfordert bleibt von dieser Partitur.
Der Rest der Besetzung hat wenig zu singen, allenfalls sticht da noch Cristina Gallardo-Domás heraus, der die Regie auch überflüssigerweise zumutet, barbusig auf der Bühne zu stehen. Was gar nicht nötig gewesen wäre, ist doch der Dichter in seinen Worten bereits erotisch genug – aber dafür scheint Regisseur Ron Daniels jegliches Gespür zu fehlen.
Bei so gelagerter musikalischer Ausgangslage kann man über Dirigent Jesús López-Cobos und die Wiener Symphoniker wenig sagen, als dass sie ihre Arbeit gut gemacht haben. Mit solchem Material kann man nicht glänzen. Und ähnlich unter Wert geschlagen ist damit natürlich auch der Arnold Schönberg Chor, der weiss Gott zu höherem berufen wäre.
Das Ganze war nichts, aber das Gute daran ist: der geniale Stoff harrt also noch einer ernst zu nehmenden Umsetzung für die Oper.