Dem Hitler sagt man lange schon nach, zumindest tat dies schon Friedrich Heer in Der Glaube des Adolf Hitler, dass zu einem nachweisbaren Teil das Katholische seiner Herkunft sein verheerendes Wesen bestimmte.
Nicht unähnlich ergeht es dem Leser der Heinrich Himmler-Biografie des Briten Peter Longerich mit dessen Abstammung und tiefer Verwurzelung im katholischen Bayern.
Aber fern davon, Himmler zu einer psychologischen Karikatur zu verformen, erzählt Longerich diese Biografie des zwiespältigen Taktierers Himmler an den Bruchlinien des Zwanzigsten Jahrhunderts, vom Übergang aus einer rückständigen Welt in eine erträumte, von ihm selbst gestaltete große Zukunft, die dann in Schlamm und Blut und russischen Granaten unterging.
Hier wird weder die Person des Organisators des Massenmords noch die hohle Entrüstung eines heutigen Lesers geschont: der war ein recht normaler Zeitgenosse. Einen heute nicht mehr nachvollziehbaren Knall mit diesem schrillen, geifernden Hitler hatten damals die meisten; einen Hang zur Barbarei dürften gleichfalls recht viele gehabt haben, sonst wäre wenig so gekommen wie es kam. Den Himmler brauchten sie dazu nicht wirklich.
Wohl, er trug sein Schärflein bei zum Aufstieg der braunen Horde, doch muss man sich schleunigst verabschieden von jedem Gedanken, dass es ohne den einen oder den anderen nicht oder nicht so abgegangen wäre. Die Liste derer, die hier Hand in Hand und äußerst effektiv zusammenarbeiteten, von Weichenstellern bei der Reichsbahn bis ins Führerhauptquartier, vom Blockwart in der Paniglgasse bis zum Führer und Reichskanzler höchselbst, ist beinah so lang wie das Einwohnerregister des Deutschen Reichs.
Himmer gestaltete seine Rolle, taktierte und zog Kompetenzen an sich, um das Reich seiner SS auf- und auszubauen. Dass er dabei ein wenn auch verquerer, so in erster Linie komplexbehafteter und ziemlich verlogener Durchschnittsbürger blieb, ist das nach Hannah Arendt wenig erstaunliche Ergebnis dieses umfänglichen Buches.
Die Details sind atemberaubend in zweierlei Sicht: bis ins Detail wird Himmlers Machtbereich ausgeleuchtet, werden die zahllosten Aktivitätsstränge, die letztlich in den Massenmord und die Gaskammern führen, beschrieben; aber auch der kleinliche Bürokrat Himmler, der vom Großen gerne träumt, dabei ein recht bigottes Privatleben führt, der Spießbürger, der draussen in den Weiten des Ostens zum Schöpfer einer neuen Menschheitsordnung mutiert, der beinah unglaubliche Dummkopf, der jedwedem Hokuspokus im Bereich des Okkulten und der damit verknüpften esoterischen Deutschtümelei begeistert aufsaß, haben ihre Auftritte.
Das So-sein der NS-Diktatur schuldet sich Himmlers Wirken in ganz beträchtlichen Ausmaß. Das bedeutet aber nicht, dass irgendetwas davon ganz allein ihm zuzuschreiben wäre oder ohne ihn nicht gleichermaßen schlimm geworden wäre. Nur anders. Seine persönliche Duftnote hat zweifellos hinterlassen. Es gab im bayrischen Katholizismus bestimmt noch andere Kaliber, die genauso gut hätten mit Hitler an die Spitze und in den Untergang marschieren können.