De pietate

Das lateinische pietas, von dem unsere langläufige Pietät abstammt, hat eine Reihe von Bedeutungen, von denen die bekannteste, aber nicht einzige, die Frömmigkeit ist. Daneben stehen aber noch kindliche und familiäre Liebe einschließlich einer Verästelung zur Vaterlandsliebe hin, Milde, Mitleid und Gnade, aber eben auch Gerechtigkeit.

Um weiterhin den Alten die Ehre zu geben: de mortuis nil nisi bene, also wörtlich: über die Toten nichts, wenn nicht Gutes. Man soll also von einem, der sich derstessen hat, wie der österreichische Volksmund sagt, nicht auch noch schlecht reden.

Also reden wir über das Spannungsfeld der Frömmigkeit, die uns gebietet und von der nun allenthalben einverlangt wird, politische Antipatie in betroffene Heuchelei zu kleiden, und Milde, Mitleid, Gnade, die zwar nicht zur Frömmigkeit im katholischen Sinn gehören, sondern blosse Lippenbekenntnisse eines uralten und längst unverstandenen Glaubensbekenntnisses sind, und – als drittem Eckpfeiler – der Gerechtikgiet, die wohl in erster Linie dazu da ist, um wiederfahren gelassen zu werden.

Zu konstatieren ist: es war in erster Linie die volkstümliche Anbiederung des Kärntneranzugs, der nicht ohne Grund in – vorsichtig formuliert – erdigen Farben getragen wird, die Leutseligkeit des Kirchtags, was sich da als Frömmigkeit gerierte. Und es war Milde, Mitleid, Gnade, was sich da äußerte, vornehmlich den alten Recken gegenüber, weniger für jene, die von weither kamen und Opfer ebensolcher, dortiger Recken waren. Ob sich aber vor dem Bedeutungsfeld kindliche und Familienliebe bis Vaterlandsliebe gleich automatisch ein Horizont der Fremdenfeindlichkeit aufspannen läßt, ist nirgends, wenn nicht in der geübten Praxis, belegt.

Zu guter Letzt, als vierten Pfeiler, haben wir den wackligen Pfosten der Gerechtigkeit, in diesem Zusammenhang nicht zu verwechseln mit den Konnotationen der Gerichtsbarkeit oder abstrakter Rechtsprinzipien, das sind ganz andere, dem hiesigen Gemüt fern liegende Angelegenheiten, sondern in Rückbezüglichkeit auf den ersten Pfeiler, die Frömmigkeit, zu sehen: Gerichtigkeit vor Gott, also Selbstgerechtigkeit.

Hierhin gehört es wohl, das Leben eines Gerechten gelebt zu haben. Da das aber keineswegs mit jenen Gerechten anzuverwandeln ist, wie sie in Yad Vashem gelistet sind, sondern mit jenen, die – wie immer! – nichts gemerkt und gewusst und – schon gar! – getan haben, den in erster Linie sich selbst gegenüber Gerechten.

An so einem Tag ist es ein Glück, dass die österreichischen Zeitungen (zumindest jene drei, die um sechs vor meiner Tür liegen) davon noch keinen Wind bekommen haben; ihre Online-Ausgaben sind aber nicht auszuhalten, triefen von einer Pietät, die allein dem ersten Pfeiler sich schuldig fühlt.

Da können einem die ausländischen Zeitungen schon nur mehr lieb sein: immerhin traut sich Die Zeit, zu erwähnen, der Verunfallte habe dem Ansehen Österreichs geschadet. Das traut sich hier niemand. Dass da sogar die konservative FAZ genüsslich die lange Liste seiner Sager, die ihn zum umstrittensten Politiker Österreichs werden liess, zitiert, ist Balsam. Nicht alles muss allsogleich vergessen werden. Der Figaro erwähnt auch noch die unselige Geschichte mit der Sonderanstalt, und scheut sich keineswegs, die Dérapages pro-nazis ou antisémites zu erwähnen. Von der von ihm selbst mit eindeutigem Unterton so genannten Ostküste ist dagegen lediglich professionelles Vermelden zu vermelden: die New York Times fasst sich kurz und knapp, was wohl auch bedeutet, dass irgendwo in Österreich – wo immer das sein mag – möglicherweise ein Fahrrad umgefallen ist.

Glück-seliges Ausland!

Bei uns hört man jetzt das Scheppern des Fahrrads. Zugegeben, in Wien ist’s fast gar nicht zu hören – wenn man das Radio abdreht!

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