Der postaugusteische Irrtum

Man darf, was die Samstags- und Sonntagszeitungen dieses Landes sich als kulturelle Beilagen umhängen, nur in des abschätzigen Sinnes Gebrauch mit dem Wort Feuilleton – so wie’s schon Karl Kraus gebrauchte – bezeichnen. Meist ist es der aktuellen Produktion der Nichtigkeiten gewidmet, der Schau in den Output nimmermüder Druckerpressen – denn es wird so viel verlegt, wie niemals zuvor. Dabei leistet sich noch Die Presse mit ihrem samstäglichen Spektrum das mit Abstand beste und relevanteste dieser Blätter im Blatt.

In der Ausgabe vom 26. September 2009 steht ein – für dieses Medium – recht langer Beitrag von Rudolf Burger, dem gewidmet, was man Freier Wille nennt. Und seine Diskussion, die keineswegs allzu vehement die Neurobiologie bemüht, sie quasi nur streift als den recht späten Ausweg aus einem Dilemma, das uns – viel früher, aber nicht am Anfang – einer eingebrockt hat, der damit jedoch ganz anderes im Schilde führte.

Augustinus habe, so Burger, entgegen der gesamten vorhergegangenen Antike, in seiner Streitschrift De libero arbitrio den freien Willen sozusagen ex nihilo improvisiert, um der Gnosis Paroli zu bieten; seither haben wir ein Problem, das es – ohne Augustinus – gar nicht zu geben brauchte… und das wir erst langsam, unter großen Mühen der konkreten Wissenschaften, seiner Erledigung zuzuführen uns anschicken.

Arthur Schopenhauer hat dies in seiner Preisschrift für die Norwegische Akademie der Wissenschaften aus dem Jahre 1839 stringent durchanalysiert:

Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heisst es: ‚Frei bin ich, wenn ich tun kann, was ich will‚ und durch das ‚Was ich will‘ ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß diese Frage sich so stellen: ‚Kannst du auch wollen, was du willst?!‘ – welches herauskommt, als ob das Wollen noch von einem andern, hinter ihm liegenden Wollen abhinge. Und gesetzt, diese Frage würde bejaht; so entstände alsbald die zweite: ‚Kannst du auch wollen, was du wollen willst?‘ und so würde es ins unendliche höher hinaufgeschoben werden, indem wir immer ein Wollen von einem früheren oder tiefer liegenden anhängig dächten und vergeblich strebten, auf diesem Wege zuletzt eines zu erreichen, welches wir als von gar nichts abhängig denken und annehmen müßten. Wollten wir aber ein solches annehmen; so könnten wir ebensogut das erste als das bekiebig letzte dazu nehmen, wodurch denn agber die Frage auf die ganz einfache ‚Kannst du wollen?‘ zurückgeführt würde. Ob aber die bloße Bejahung dieser Frage die Freiheit des Wollens entscheidet, ist, was man wissen wollte, und bleibt unerledigt. Der ursprüngliche empirische, vom Tun hergenommene Begriff der Freiheit weigert sich also, eine direkte Verbindung mit dem des Willens einzugehn.

Das dargestellte Dilemma ist nicht zu lösen, denn die Freiheit widerstrebt der Notwendigkeit, i.e.

was aus einem gegebenen zureichenden Grunde folgt.

Diese Freiheit des Willens von aller Notwendigkeit würde bedeuten, dass einem Individuum unter individuellen, durchgängig bestimmten äußeren Umständen zwei einander diametral entgegengesetzte Handlungen gleichmöglich wären.

Der Band Kleinere Schriften II beinhaltet die lesensweiten Preisschriften Über die Freiheit des menschlichen Willens und Über die Grundlage der Moral, letztere zusätzlich mit einer wundervoll giftigen Polemik gegen Hegel.

Zurück aber zu Burgers Überlegungen:

Das phänomenale Bewusstsein mag aus materialistischer, naturwissenschaftlicher Sicht rätselhaft erscheinen (…), aber es ist icht rätselhafter als das Phänomen der Wärme, erklärt durch die statistische Mechanik. Worauf letztlich allein es ankommt, ist der funktionelle Zusammenhang. Mehr wissen wir auch nicht über die materiellen Dinge, die uns umgeben. Oder „erklären“ die Maxwellschen Gleichungen den Zusammenhang zwischen elektrischen und magnetischen Feldern vielleicht besser? Die sogenannte „Erklärungslücke“ zwischen phänomenalem Bewusstsein und physischer Welt, das „hard problem“ nach David Charmers, existiert also in Wahrheit gar nicht – oder aber, wenn lieber will, es begleitet uns dauernd auch bei den einfachsten Funktionsgleichungen der Physik.

Und er wagt die Prognose, dass dieses „had problem“ aus der Philosophie – eines Tages? alsbald? – ebenso sang- und klanglos verschwinden werde wie der Vitalismus aus der Biologie. Schließlich handle es sich um einen postaugusteischen Irrtum. Das würde man hoffen wollen…

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