Weswegen geht man in die Oper?
Es ist zum ersten sicher nicht wegen der G’schichten. Selbst mittelmäßige amerikanische Fernsehserien bieten in der Regel stringentere Plots.
Zum zweiten – jedenfalls für meine Person – auch nicht wegen der Leut‘. Ich kann auf diese Ansammlung von parfümiert oder ältlich stinkenden Leuten verzichten.
Und zum dritten auch nicht wegen der Bequemlichkeit. Auf diesen ächzenden Klappstühlen mizt durchgesessener Polsterung ist beileibe nur schwer eine ganze Halbzeit durchzusitzen.
Wohl – zum vierten – auch nicht wegen der Darbietung. Die ließe sich daheim mit DVD und Dolby Surround meist in höherer Perfektion genießen.
Gerade in der Wiener Staatsoper schlägt bisweilen gnadenlos das Repertoire zu: die heutige Traviata war die 265. in dieser Inszenierung, eine durch und durch bedeutungslos dahingehudelte Aufführung, ein Musterbeispiel für die Abgründe des Repertoiretheaters.
Nun ist ja Verdi’s La Traviata nicht gerade ein aufregend besonderes Stück – aber ein ernsthaftes Rückgratsegment eben des Opern-Repertoires, immer gut besucht, immer gefragt. Zum Dank dafür schmeißt uns die Direktion Hollaender eine jahrzehntealte Aufführung aus dem wenig begnadeten Schaffen des Otto Schenk, gefürchtet für statische Personenführung, staubiges Werkverständnis und umfassende Ideenarmut. Aber seit jeher ein Liebling der Staatsoper.
An manchen guten Abenden, und so einen hatte ich auch schon mit gleicher Inszenierung, vermögen Dirigent und Orchester, Sänger und Ensemble dagegen anzukommen – so ist (bei geschlossenen Augen) sogar Operngenuss möglich. Heute aber haben sie samt und sonders auf der ganzen Linie versagt und eine bestenfalls im unteren Mittelmaß anzusiedelnde Leistung geboten: Dirigent Friedrich Haider vermochte das Staatsopernorchester kaum zu inspirieren, die Violetta (Norah Amsellem) war zwar wirklich hübsch anzusehen, also immerhin etwas, wenn auch mit allzu wenig Glaubwürdigkeit und esprit; und Alfredo Germont (Joseph Calleja) agierte wie in einem Deja-vu. Aber das braucht beim 265. Aufguß auch nicht mehr ernstlich zu wundern. einzig der in dieser Saison debutierende Vladimir Stoyanov als Vater Germont brachte etwas Drama in die Sache.
Es wäre doch wünschenswert, wenn die scheidende Direktion diesen inszenatorischen Krempel bei ihrem Abgang gleich mitnehmen würde. Wenn man an den hier zuletzt in höchsten Tönen gelobten Orlando paladino Haydn’s im Theater an der Wien unter Harnoncourt denkt… Eine Opernstadt wie Wien hätte sich weiß mehr davon verdient. aber der alte Schenk ist halt auch ein Wiener. Nur: für solche gibt’s doch die Josefstadt, da sind sie unter sich und stören niemand.