Ein kräftiges Lebenszeichen von der ersten Oper der Moderne

Alban Berg, für den heuer – im Schatten des Genius Mahler – ein nur schemenhaft beachteter runder Geburts- und Todestag zu vermerken ist, ist immerhin den Wiener Festwochen ein eigenes Fest für Alban Berg wert: so kommen wir endlich wieder in den Genuss seiner Opern!

Hatte sein Lehrer Arnold Schönberg sich noch verhalten gewundert, ob der – nicht mehr so junge – Schüler dem Opernprojekt Wozzeck nach Büchners lange Zeit für schon am Theater unspielbar gehaltenem Stück gewachsen sei, so musste er nach Fertigstellung neidlos bekennen, daas hier einer ein neues Kapitel der Operngeschichte aufgeschlagen hatte: die Moderne.

Alban Berg ist jener überlebenswichtige Impuls zu verdanken, der sich in den Jahren bis zum ersten Weltkrieg in den Manierismen und Banalitäten etwa eines Puccini langsam totlaufenden Gattung einen Weg zu neuer Kraft gewiesen zu haben. Man hört schon in den ersten Szenen, dass Oper grundsätzlich zu weitaus mehr imstande ist als bloß ein paar Schönsänger auf die Bühne zu stellen.

Die Musik ist kompromisslos modern, und doch beruht sie auf einem Formenkanon, der von der mittelalterlichen bis in die klassische Periode reicht. Man hört’s nur nicht, schon gar nicht vordergründig.

Die Geschichte ist – kurz gefasst – die des naiven Franz Wozzeck, der von aller Welt, und vor allem von seiner Marie, zum Narren gehalten wird, bis er in schierer Verzweiflung die Liebste umbringt.

Die anspruchsvolle Titelpartie erfüllt der Wiener Bariton Georg Nigl nicht nur glaubwürdig mit Leben, er führt seinen Wozzeck in die lichten Höhen des Fachs genauso wie in die klangvollen Tiefen der Partitur, meistert das Unterdrückte des gepeinigten Außenseiters wie die Ausbrüche seiner Verzweiflung.

Neben ihm wirkt die Marie der Hamburgerin Angela Denoke trotz ein Wenig ins Heroinenhafte gehenden Tons nachgerade mager.

Präsent und rollengemäß aufgeplustert dagegen Wolfgang Bankl als Doktor und Andreas Conrad als Hauptmann.

Von ganz anderem Kaliber ist da schon der lärmende und von guten Manieren gänzlich unbeleckte Tambourmajor des lange Jahre in Zürich engagierten deutschen Tenors Volker Vogel. Er macht in perfekter Verkörperung des umtriebigen Haudegens und Maulhelden transparent, wie absurd die ganze Geschichte doch ist: mit so einem läßt die Marie sich ein? Kein Wunder, dass die Fassungslosigkeit Wozzecks zunächst hilflos an diese Undenkbarkeit brandet, dafür nachher umso donnernder sich entlädt.

Das restliche Ensemble, Eric Stoklossa als Freund Andres, die Handwerksburschen Tijl Faveyts und Christian Miedl, der Narr Hans Zednik sowie Magdalena Anna Hofmann als pikiert bigotte Nachbarin Margaret.

Ganbz und gar auf der Höhe der Berg’schen Partitur – wie auch zweifellos in seinem Geiste – musizierte das Mahler Chamber Orchestra unter dem souveränen Daniel Harding, der leider in Wien viel zu selten in Erscheinung tritt. Die ziselierten Klanggebilde Bergs ertönen ebenso kompetent wie die Prestissimi, lediglich in den Bläsern gibt es dann und wann Unsicherheiten.

So sehr die musikalische Umsetzung zu Lob und Zufriedenheit Anlass gibt, so wenig tut es die Inszenierung von Stéphane Braunschweig: die meiste Zeit über hat man eher den Eindruck, einer konzertanten Aufführung beizuwohnen, wo die Sänger sich ein paar passende Fetzen und das eine oder andere hilfreiche Utensil mitgebracht haben. Entsprechend ist über die Ausstattung von Thibault Vancraenenbroeck auch schon alles gesagt.

Insgesamt aber ein erhebender Opernabend, der einmal mehr zeigt, dass die spannenden Dinge zumeist nicht in der Staatsoper passieren.

Links: Kritiken in Standard und Presse, Alban Berg, seine Oper und Büchners Stück Woyzeck in der Wikipedia.

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