Ein Stück für 3 Stimmen: Moses, Aron und das Volk Israel. Nirgends in der Opernliteratur wurde jemals dem Chor eine so tragende, vielfältige, dramatische Rolle geschrieben wie es Arnold Schönberg in Moses und Aron tat. Nachdem ich die DVD einer Aufzeichnung aus 2006 schon habe, war nun endlich auch ein Besuch der Wiederaufnahme dran.
Das Werk ist überwältigend in seiner musikalischen Dichte, und ob der Spannung, die Schönberg – man möchte sagen: trotz Zwölftontechnik – zu erzeugen versteht, auch eingängig: hier wird der breite Graben nahezu leichtfüßig übersprungen, der sonst den modernen Komponisten und sein Publikum trennt.
Lothar Zagrosek dirigiert das vielschichtige, in seiner Wirkung monumentale Werk mit Exaktheit und Gespür für die Wechselhaftigkeit des Volkes, seine Ausbrüche und Verzweiflungen, die Schönberg genauso in die technisch komplexe Partitur hineinkomponiert hat wie seinen orgiastischen Rausch…
Leider ist zum Thema Rausch denn auch die einzige ernsthafte Kritik fällig: an der Regie. Hat Reto Nickler sonst eine Linie gefunden, die mit Bühne – Wolfgang Gussmann – und Kostüm – derselbe mit Susana Mendoza – ein kompaktes Sinngefüge etabliert, das die zutiefst philosophische Auseinandersetzung des Komponisten und Textautors mit den so grundlegenden Fragen zu fassen versteht (diese Diskussion muss ich mir für später einmal aufheben), so entgleist ihnen allen dreien plötzlich der Geschmack: in der Szene im zweiten Akt, da das Volk Israel sich erneut den alten Göttern, versinnbildlicht im goldenen Kalb, zuwendet, sacken sie auf Pennäler-Niveau.
Dass da mit menschengrossen Buchstaben hantiert wird, mag in einer Inszenierung, die durchgängig geschriebenes Wort inkorporiert, noch angehen, dass aber dann aus ICH BIN GOTT oder GOTT BIN ICH das Wort BIGOTT geformt wird, um schliesslich ein TOT liegen zu lassen, ist einfach nur albern. Das dazu passende Videomaterial von Laufstegen, Tierschlachtungen und Schönheitsoperationen tut ein übriges, eine überdimensionale Keule aufzubauen, damit der Zuseher nur ja nicht Gefahr läuft, etwas von der platten Zeitkritik misszuverstehen. Gerade dass man uns nicht unterschreiben lässt, dass wir’s eh kapiert haben.
Aber das war mir schon bei der DVD ein Dorn im Auge. Auch die gestellte Hinkebeinigkeit an sich junger Chormitglieder in grauen Perücken passt gar nicht ins das im ersten Akt noch vollkommen schlüssige Konzept. Die Arbeit Nicklers ist ein Paradebeispiel dafür, wie man ein probates Beginnen durch Übereifer an die Wand fährt.
Gesungen haben dafür: erneut in der Rolle des Moses Franz Grundheber, erstmalig an der Staatsoper der Brite John Daszak als Aron. Gesondert hervorzuheben die Leistung der Chöre – Chor der Wiener Staatsoper, Zusatzchor der Wiener Staatsoper und Slowakischer Philharmonischer Chor in der Einstudierung von Jozef Chabron – auf deren formidablen Einsatz das Werk Schönbergs gründet.
Der Rest der Protagonisten ist vom Chor nur schwer zu trennen, die Regie tut gerade im zweiten Akt ein Übriges, jegliche Wirkung zu vernichten.
Nun: die Staatsoper könnte ja, wenn sie nur wollte – und das scheint ihr überreifer Direktor gerade in seiner letzten Saison noch einmal geballt beweisen zu wollen, zuerst mit der Uraufführung von Reimanns Medea und dann der Wiederaufnahme von Moses und Aron… Ich werde mich aber jetzt nicht dazu versteigen, ihm darob etwa nachzutrauern.