Erstaunlich ist, mit welch kräftigen Streichen die Geschichte der Oper anhebt; es gibt da kein Vorgeplenkel – an ihrem Anfang steht ein Meister: der Cremoneser und spätere Kapellmeister von San Marco in Venedig – Claudio Zuan Antonio Monteverdi.
Nicht nur eröffnete Monteverdi den Reigen der höfischen Oper 1607 mit dem Orfeo in Mantua, er steuerte auch seine zweite und dritte Oper, Il Ritorno d’Ulisse in Patria 1641 und L’Incoronazione di Poppea 1642, zum Erblühen des kommerziellen Opernbetriebs in Venedig bei.
Fast 400 Jahre später geht das immer noch auf: das Theater an der Wien – damit wieder mal das eindeutig bessere Opernhaus in der Stadt – bringt eine Co-Produktion mit Glyndebourne Festival Opera und Opéra National de Bordeaux nach Wien. Und da sage noch einmal wer, das Prinzip der Co-Produktionen sei kein Segen…
Die Wiener Aufführung glänzt durch eine neue Besetzung und liegt musikalisch in den Händen von Christopher Moulds und dem Balthasar Neumann Ensemble, die trotz recht dünner Besetzung, wie allerdings zu Zeiten Monteverdis üblich, den Raum des Theaters an der Wien klanglich auszufüllen vermochten und ein luzides und lyrisches wie präzise intoniertes Werk erklingen liessen.
Grandios die Columbianerin Juanita Lascarro, ein herrlich kräftiger Sopran mit ausreichend Timbre für die lyrischen Partien, und nebenbei ein Bild einer jungen, schönen Frau, in der Titelrolle als ebenso verführerische wie gesellschaftlich ambitionierte Liebhaberin des Kaisers Nero. Mit ihm – Sopran-Countertenor Jacek Laszczkowski – liefert sie intensive Liebesduette und wahrhaft große Leidenschaften abseits des opernüblichen Pathos. Hier ist der frühe Entstehungszeitpunkt des Werks vor allem Schematischen in der Gattung entschieden von Vorteil.
Auch ist – gerade im Vergleich mit Händel, der als der erste Großmeister der barocken Oper anzusehen ist – die Formenvielfalt erstaunlich: ist bei jenem die Oper, trotz aller musikalischen Genialität, formell in der beständigen Abfolge von Rezitativ und Arie festgefahren, so verfügt Monteverdi noch über die Freiheit, auch zwei oder mehr Stimmen in seinen Stücken vereint und gegeneinander auftreten zu lassen, wie es späterhin erst bei Haydn und Mozart wieder auftritt. Die dramatische Kraft dieser Möglichkeiten ist weitaus größer als die der auf Arien beschränkten Blütezeit. Man hört es mit Vergnügen – und das trägt wohl auch dazu bei, dass Monteverdi uns heutigen Opernbesuchern doch irgendwie näher erscheint als eben Händel.
Zugleich eröffnet das dramatische Moment in Duett und Trio der Regie ein viel breiteres Feld als es das Abspulen einer kette von Arien je erlauben würde. Das ist gerade in dieser Inszenierung mehr als deutlich zu sehen. Der Brite Robert Carsen erzählt eine simple Geschichte von Liebe, Leidenschaft und Macht ohne jeglichte übergestülpte Deutung, doch ist das Setting in der genial reduzierten Bühne von Michael Levine so zeitlos, dass alles möglich und nichts zwingend ist.
Hier agieren Ottone, der verzweifelte, verschmähte Liebhaber Poppeas – großartig in Verzweiflung wie Hoffnung der amerikanische Counter Lawrence Zazzo – und die an ihrer eigenen Verstoßung mitwirkende Kaiserin Ottavia – Mezzo Anna Bonitatibus aus Italien mit inniger Ergebenheit, Aufbegehren und Resignation in allen Schattierungen brilliant. Zu Ottone gesellt sich seine ursprüngliche Liebe Drusilla, meisterhaft und trotz nordischer Herkunft südlich stürmisch und sanglich brilliant die Schwedin Ingela Bohlin.
Als einzige nicht in das Ringen um Eros und – zumindest nicht in dieser Version der Geschichte – Macht verstrickte Person gibt David Pittsinger – gefragter Bass-Bariton aus den USA – den Philosophen und zurückhaltenden Politiker Seneca, der versucht, den Kaiser irgendwie im Zaum von Würde und Gesetz zu halten, was mit dem ihm aufgetragenen Selbstmord fulminant scheitert: eine ruhige, gesanglich präzise, rollengemäß kühle Leistung.
Am Rande tummeln sich ein paar witzige Figuren, die schon in Monteverdis Konzeption für die Auflockerung zuständig waren: zwei Ammen, gesungen und hinreissend komisch gespielt von Andrew Watts und Marcel Beekman, der zum Aufstieg seiner Herrin sogar noch eine parallele, echt komische Verwandlung zur Gesellschaftsdame auf die Bühnenrampe bringt und damit die Lacher auf seiner Seite hat.
Großartig als Page Valletto auch die Wienerin Cornelia Horak, die mir schon in Tan Dun’s Tea oder als Komponist in der Ariadne der letzten Volksopernsaison aufgefallen war. Ihr zur Seite als niedliches Stubenmädel-G’spusi Beate Ritter, die hier im Haus schon in Debussy’s Pelléas et Melissande in der Rolle der Yniold zu sehen und hören war – da hatte ich schon positives zu vermerken!
Das Personal Monteverdis ist damit längst nicht erschöpft, es sangen weiters: Ruby Hughes, am Hause inzwischen bekannt aus Rossinis Tancredi, Renate Arends und – durch die ganze Oper, wennzwar bis auf das Intro stumm, als Amore die Liebenden zum Erfolg geleitend: – Trine Wilsberg Lund. An Hofstaat, Dienern und Soldaten wäre zu erwähnen: Michael Dailey, Nicholas Watts, die beide ihre erbaulichen Auftritte hatten, Dominik Köninger, Jakob Huppmann und Andreas Wolf.
Das Meister Monteverdi – man sagt: aus Kostengründen der kommerziellen Oper wegen – in seiner Poppea keinen Chor vorgesehen hat, ging der ansonsten in allen Epochen erfolgreich beheimatete Arnold Schönberg Chor diesmal leer aus – schade eigentlich bei einem Komponisten, der großartiges für Vokalensembles hinterlassen hat.
Zu guter Letzt müssen aus dem Produktionsteam auch Licht – das Konzept von Regisseur Carsen und Peter van Praet erzeugte auf der stark reduzierten Bühne Stimmung und konkrete Örtlichkeit – sowie Kostüm erwähnt werden: Constance Hoffmann trägt mit ihrer Ausstattung wesentlich zur Stimmigkeit der Inszenierung bei, was man leider nicht gerade oft von diesem Metier sagen kann (ein echt schlimmes Beispiel dazu war etwa der Mitridate zu Ende der letzten Saison).
Rundum gelungen, eindringlich musiziert, mit viel Herzblut gesungen und gespielt – da kann sich der ganze Ring dahinter verstecken und nichts guckt mehr hervor! Das ist Oper!