Wer zu spät kommt, nun: den bestraft irgendwer oder irgendwas. Zum mindesten die Absenz. Meinesfalls bei verspätete Ankunft im Großen Musikvereinssaal durch Versäumnis der ‚Wesendonck-Lieder‚. Ich bin zwar sonst kein ausgeprägter Freund von Richard Wagner, doch die fünf hübschen Lieder zu Gedichtchen der Mathilde Wesendonck, die Wagnern überdies beständig monetär aushelfen durfte, sind ganz erträglich und vollkommen un-schwer.
Gehört habe ich dann die Dritte Symphonie von Bruckner, interpretiert von Roger Norrington und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart. Relativ selten gespielt die diesmal gebotene Version: die Originalfassung von 1873 – bei weitem nicht die meistgespielte. Aber immerhin die lange Version, ohne die einschneidenden Kürzungen der zweiten Fassung. Hier werkt Bruckner sozusagen in Zeitlupe und ausgebreitet vor dem Hörer an allen Details – nach allen Regeln der kompositorischen Kunst.
Verblieben sind in der ursprünglichen Fassung jene Zitate aus Wagner-Opern, die schon zur Entstehungszeit den Bezug zum alten Bayreuther manifestieren und die namensgebende Widmung an Richard Wagner spiegeln. Sie wirken ein Wenig künstlich und absichtlich aufgesetzt, vor allem nach dem schmetternden Trompetenthema im Kopfsatz.
Der fast liebliche 3. Satz, ausserordentlich zurückgenommen gegenüber Kopf- und Finalsatz, entlädt sich aber in gewaltiger Dynamik, um in einem kompakten Scherzo und beinah volkstümlichen Trio auszulaufen. Posaunenthema, Choral in den Bläsern – das Finale macht regen Gebrauch vom Blech.
Roger Norrington tanzte förmlich übermütig über den lyrischen Passagen, ein verschmitzter Schalk am Dirigentenpulk. Er hatte sichtlich Spass – trotz über dem Saal kreisender Hubschrauber (der Russe Putin weilt zur Zeit auf Staatsbesuch gleich nebenan). Das Publikum dankte mit mächtigem Applaus – sichtlich angesteckt von Norringtons Fröhlichkeit.