Ach ja: sie kann mitunter doch was, unsere altehrwürdige Staatsoper!
Mit dem Boris Godunow von Modest Mussorgsky in der Regie von Yannis Kokkos ist ein Opernnachmittag zu erleben, der durchaus als gelungen zu bezeichnen ist – und sogar meinem steten Hang zur Moderne (frühe) Rechnung trägt:
Die 1874 erstmals aufgeführte zweite Fassung ist musikalisch kompromisslos modern – wenig verwunderlich, dass sie in der damaligen Situation auf wenig Gegenliebe stieß. Manches, das der Aussenseiter Mussorgski lange vor den Modernen des Zwanzigsten Jahrhunderts in seine Oper komponierte, hat selbst jene noch eingeholt – wenn nicht überholt. Auch die Verwendung der personen- aber zugleich situationsbezogenen Motive, die sich mit der Stellung der Personen zueinander wandeln, eine feine psychologische Zeichnung gewissermaßen, weist weit über Wagner hinaus.
Herausragend gefiel mir Elisabeth Kulman als Marina Mnischek, die auch ein wenig schauspielernd zum Einsatz kommen durfte, ebenso wie der Psuedo-Dimitrius Marian Talaba, der blendend gesungen und gespielt war. Ferruccio Furlanetto meisterte den schwierigen Zaren Boris Godunow gleichfalls höchst zufriedenstellend.
Das Staatsopernorchester unter Sebastian Weigle sorgte für einen hörbar ent-romantisierten Klang, wie ihn möglichweise Mussorgski angestrebt haben mochte – bevor ihn sein Freund Rimski-Korsakow mit den Erfordernissen seiner etwas kitschigen und flachen Zeit zukleisterte.
Geborgen wurde das Werk erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts im Gefolge einer restaurierten urfassung von Pavel Lamm.
In Wien wird eine hybride Version gespielt, die niemals ganz einer der vielen Fassungen aus Mussorgskis Hand gleicht: es wäre schade um die polnischen Szenen im 3. Akt, die der Komponist erst aufgrund des eklatanten theatralischen Fehlens einer weiblichen Hauptperson in die zweite Version einfügte, zugleich sind die vorangehenden Akte in sich umgestellt und gekürzt, die doch in der Urfassung nahezu perfekt waren – wenn auch nicht für die Zeit, in welcher der Komponist lebte. Aus diesem Dilemma gibt es allerdings keinen Ausweg.
Man muss jedoch den Boris Godunow öfter mal wieder sehen, die Möglichkeiten der unterschiedlichen Fassungen erlauben interessante Einblicke ins Schaffen des Komponisten.