Spannendes aus der Frühgeschichte

Man soll nicht glauben, dass es unter den großen Kulturen der Vergangenheit nicht noch die eine oder andere gäbe, von der man aus seiner Gymnasialbildung keinerlei Erinnerung auszugraben vermöchte. Aber dass selbst das steinerne Gefüge der Entstehung der Hochkulturen irgendwo in einer Zweistromland genannten Weltgegend noch Erschütterungen ausgesetzt wäre – nun, das erschüttert…

Der Sprachwissenschafter Harald Haarmann hat es unternommen, die Puzzlesteine einer in den letzten Jahrzehnten neu entdeckten Hochkultur zusammen zu setzen, deren Besonderheit es ist, mitten in Europa entstanden zu sein und daselbst über mehrere Jahrtausende geblüht zu haben, als es sonst noch nicht viel gab: am Übergang vom Neolithikum in die Bronzezeit. Damit tritt eine Periode unserer Vorgeschichte in die Geschichte, von der man sich mit Hilfe herkömmlicher Geschichtsbücher oder der Breitenmedien keinerlei Vorstellung zu machen im Stande ist.

In dem recht schmalen Band Das Rätsel der Donauzivilisation: Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas fasst Haarmann den Kenntnisstand über diese Zivilisation am östlichen Rande Europas, zwischen dem südlichen Rumänien und Griechenland gelegen, zusammen.

An Sensationen mangelt es dabei keineswegs: hier gibt es eine rituelle Schrift vor dem Eintreffen der Schrift bei den frühen Griechen. Auch scheint es Entwicklungen in der Domestizierung von Tieren und Pflanzen gegeben zu haben, die entgegen der bisherigen Ansicht hier stattfanden und ihren Weg zurück in die Regionen Kleinasiens fanden, von der wir bisher übernommen erachteten. Auch Städte werden diagnostiziert, die an Größe und Bebauung alles übertreffen sollen, was in anderen Weltgegenden zu dieser Zeit vorzufinden – oder zumindest nachzuweisen – ist. Das setzte immerhin einen hohen Grad von gesellschaftlicher Organisation voraus, vpn einer Reihe integrativer Technologien und hoch entwickeltem Bauhandwerk gar nicht zu reden.

Einerseits wurden bereits zu viele Artefakte dieser Kultur ausgegraben, um das Phänomen noch als phantastisch anzuqualifizieren; in der Frühgeschichtsforschung ist diese Zivilisation längst angekommen. Seinem Fachgebiet gemäß spielt aber die Erforschung der sprachlichen Spuren, die diese sprachlich nicht dokumentierte Zivilisation möglicherweise in den Sprachen ihrer Nachfolgekulturen hinterlassen hat, in dem Buch eine große Rolle. Das ist in der Fülle seiner Beispiele verdienstvoll, aber doch etwas lähmend für jemand, dessen Griechisch schon nicht das beste ist, von dessen innerer Entwicklungsgeschichte gar nicht zu reden.

Wirklich spannend ist aber die eher nur en passent dargestellte Entlehnung der für unsere abendländische Kultur konstitutiven Mythen und Epen – bis hin zu den Namen eines Odysseus, Agamemnon oder einer Penelope – aus einer fremden Kultur, die mangels Parallelen etwa in der vedischen Literatur eher nicht dem indogermanischen Kreis angehören dürfte. Der Rückschluss ist weitreichend: es muss eine starke kulturelle Kraft im Vorfeld der griechischen Zivilisation gegeben haben, die eine derart starke Ausstrahlung in tägliches wie literarisches Vokabular verursachen konnte.

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