Müßige Diskussionen

Bei Martin Heidegger stellt sich immer die Frage, wie jemand als einer der größten Denker des Zwanzigsten Jahrhunderts gelten kann, der in seinen maßgeblichen Werken keinen geraden Satz zu Wege brachte. Man muss, um Heidegger nicht zu beachten, keineswegs auf seine Verstrickung in den Nationalsozialismus rekurrieren. Es genügt, Sein und Zeit zu lesen.

Für viele vor allem akademische Philosophen scheint es sich aber just darum zu drehen: war er ein Nazi, oder war er keiner? So als ob es davon abhinge, ob ihm Gültigkeit als Philosoph zukommen könne. Es gibt dabei eine Grundsatzfrage: die nach dem Leben des Menschen im Denken des Philosophen. Darf man Platon und Aristoteles vorwerfen, dass ihre Versuche, politischen Einfluss auszuüben, schief gegangen sind – und resultiert daraus, dass ihre Analysen und ihr Denken damit gleichermassen hinfällig seien?

Natürlich nicht. Auch Heideggern gebührt die Freiheit, in seiner Zeit sein Leben gelebt zu haben, ob einem das nun heute noch sympathisch ist oder nicht. Sympathie ist nämlich gleichfalls keine relevante Kategorie in der Philosophie.

Nachdem Emmanuel Faye in seiner Monografie Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie ziemlich schwere Geschütze in Sachen Nationalsozialismus aufgefahren hatte, war natürlich zu erwarten, dass die Verehrer des angegriffenen Heidegger sich zu Wort melden. Von dieser Seite kommt aber für gewöhnlich wenig Substantielles – das ist wie mit der Gotteslästerung, mit Gläubigen ist kein vernünftiger Dialog zu führen.

Emmanuel Faye - Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie

Auch von Heideggers Universität Freiburg im Breisgau stammt Holger Zaborowski, dessen Buch Eine Frage von Irre und Schuld?: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus dem kontroversen Kurzzeitrektor sehr bemüht Gerechtigkeit angedeihen zu lassen versucht.
Holger Zaborowski - Eine Frage von Schuld und Irre? - Martin Heidegger und der Nationalsozialismus

Zaborowskis Buch ist ein mit allerlei Floskeln nach Seiten der Gerechtigkeit schielender Versuch, die Sachlage zu vernebeln. Sein Kunstkniff besteht darin, Mensch und Lehre zu trennen, wo ihm das passt, und andererseits Leben und Philosophie aufeinander zu beziehen, wo das besser dem erstrebten Ziele frommt.

Einige Dinge sind von vorn herein klar: Heideggers Denken besteht nicht zu einem überwiegenden oder zumindest gewichtigen Teil aus Nationalsozialismus, Blut und Boden, Fremden- und Judenfeindlichkeit, Volks- und Führerverehrung und dergleichen mehr. Heidegger ist nicht Rosenberg. Und: Heidegger lebt den hier massgeblichen Teil seines Lebens im wilhelminischen Deutschland und danach in dem der Weimarer Republik – da ist es wenig verwunderlich, dass die Strömungen der Zeit, auch die aus heutiger Sicht irrigen und irrsinnigen, in seinem Werk mehr oder weniger zentral auftauchen. Heidegger teilt den Wahn der Zeit, in einem Führer eine Erlösergestalt zu erblicken. Sein innerlich niemals überwundener Katholizismus sorgt dafür, dass er mit rechtem Gedankengut etwas anfangen kann.

Die Faktenlage wird, seitdem immer mehr originale Materialien aus der Zeit zugänglich sind, gleichfalls immer klarer: Heidegger hat sich für einen Erneuerer der deutschen Universität gehalten und die Chance ergriffen, mitten in der nationalsozialistischen Machtübernahme die Universitäten in seinem Sinn umzugestalten – wenngleich das, wie sich alsbald herausstellen sollte, nicht ganz dasselbe war, was die Nazis bezweckten. Heidegger hat sich in dieser Verblendung dennoch als kräftiger Zugochs vor ihren Karren gespannt, und er hat dabei nicht lange gefackelt, wenn es darum ging, sich ihren Jargon zunutze zu machen. Man kann das keinesfalls als ironisierendes Zitieren verstehen. Diese Dinge stehen Wort für Wort in seinen veröffentlichten wie hinterlassenen Schriften, von seinen Briefen gar nicht erst zu reden.

Heidegger hat sich verschiedenen Behörden gegenüber negativ über die nicht ausreichend nationalsozialistische Gesinnung von Kollegen geäußert, Studenten hintenrum ihre Zugehörigkeit zum Judentum vorgeworfen und Kontakte zu Leuten abgebrochen, die Juden oder jüdischer Herkunft waren oder mit einer Jüdin verheiratet, wie sein einstmaliger Lehrer Edmund Husserl. Die Erinnerungen seiner zahlreichen Schüler legen beredt Zeugnis von dieser zumindest zwiespältigen Natur Heideggers in jenen Tagen ab.

Zaborowski versucht, immer im Rückgriff auf die Schriften Heideggers, nachzuweisen, dass Heidegger solche Einstellungen niemals gehabt haben könne, da sich nur geringe Spuren auffinden liessen. Und wenn er auf eindeutige Sätze stößt, tut er sie als Zeitkolorit ab, stellt den größten lebenden Philosophen, wenn nicht aller Zeiten – als der sich Heidegger selber allzu gerne sah – zurück in die Reihe der vermeintlich ahnungs- und schuldlosen Zeitgenossen. Der Autor agiert dabei wie ein Politiker unserer Tage, der bei in Skandalen angepatzten Parteifreunden bestenfalls eine schiefe Optik ortet und ein Kommunikationsdefizit bedauert.

Das Buch ist ein Ärgernis, weil es – weit entfernt davon, gerecht zu sein – beständig die Maßstäbe wechselt, die es an seinen Heros anlegt. Gipfel dieser Strategie ist es, das Unabweisbare – wie die Rektoratsrede – zuzugeben und Heideggern quasi mit erhobenem Zeigefinger ein Du! Du! zuzurufen, dafür aber alles Weitere unter den Teppich seiner Philosophie zu kehren.

Aber Heidegger zum Kritiker des Nationalsozialismus zu stilisieren, indem ein entsprechender Sinn in manche seiner Seminaraussagen und Briefe hineingeheimnisst wird, die doch in Worten nichts davon sagen, ist die wahre Zumutung dieses Buchs.

Rainer Thurnher (Artikel Martin Heidegger. in: Heinrich Schmidinger, Wolfgang Röd, Rainer Thurnher: Geschichte der Philosophie. Band XIII, München 2002, S. 199.) resümiert klipp und klar:

Die dokumentierten Appelle und Reden – darunter auch die vieldiskutierte Rektoratsrede – zeigen Heidegger auf einem Niveau, das tief unter dem seiner denkerischen Bemühungen – der vorangegangenen wie der nachfolgenden – liegt.

Soetwas muss ein renommierter Denker sich entschuldigungslos vorwerfen lassen: seine gern und oft beschworene Fehleinschätzung des Nationalsozialismus muss ihm vorgeworfen werden, das ist immerhin bei einem Philosophen von Weltrang und Universitätsrektor etwas fundamental anderes als bei einem Rauchfangkehrer- oder Bäckermeister. Es gab immerhin Leute, die den faulen Zauber von Anfang an durchschaut hatten… Und es ist mehr als perfide, post festum zu behaupten, seine nachweisbare Unterstützung für die Nazis habe freilich nicht deren zerstörerischen Ambitionen gegolten. Damit könnte sich so gut wie jedermann exkulpieren.

War nun Heidegger ein Nazi? Heidegger war Mitglied der NSDAP, das konstituiert gemeinhin und ausreichend einen solchen – und in seinen Worten und Handlungen im sogenannten Rektoratsjahr 1933 beweist sich, dass er das keineswegs aus purem Selbstschutz geworden ist. Man muss nicht ’schlimmere‘ Erscheinungsformen von Nazis suchen, um so einen besser dastehen zu lassen. Erschwerend wirkt auch, dass er zu keiner Zeit während oder nach dem Ende des Dritten Reiches Worte der Einordnung gefunden hat. Heidegger erweist sich hier als hochgradig erkenntnisresistent – er ließ noch 1953 das Diktum von der inneren Wahrheit und Größe dieser Bewegung drucken. Gerade das Beispiel seines Lehrers Husserl zeigt, dass in dieser Zeit auch ein anderer Lebensweg gangbar gewesen wäre.

Und: es gibt Fotos, auf denen Heidegger stolz sein Parteiabzeichen trug. Auch rückte er ganz im Sinne der nationalsozialistischen Wehrhaftmachung der Jugend selbst zur körperlichen Ertüchtigung seiner Studenten aus – dass das mit Skisport wenig zu tun hatte, hat er gleichfalls selber klargestellt.

War Heidegger Antisemit? Rüdiger Safranski hat ihm in seiner Biografie Konkurrenzantisemitismus vorgeworfen – was man aber nicht gleich als Generalfreibrief verstehen darf. Gerade sein Umgang mit Husserl und dessen jüdischer Frau zeigt, dass seine Ausprägung keineswegs rein standestechnisch motiviert gewesen sein dürfte. Dass er an seine spätere Frau Elfriede von der Verjudung unserer Kultur u. Universitäten schrieb, entschuldigt sich nicht allein dadurch, dass das schon 1916 geschah, im Gegenteil: man kann darin ein Merkmal von Kontinuität erkennen wollen. Umgekehrt hatte er viele jüdische Studenten, doch fragte er sich – rein rhetorisch? – warum wohl ausgerechnet sein Seminar einen solchen Anziehungspunkt für diese Juden darstelle.

Heidegger scheint einen Privatantisemitismus nach dem Muster des Wiener Bürgermeisters Lueger gepflogen zu haben, bei dem es allein auf seine Entscheidung ankomme, ob wer ein Jude sein oder ob nicht. Er empfahl einige seiner jüdischen Studenten an Doktorväter im Ausland, als sie im Deutschen Reich nicht mehr promovieren konnten, anderen Unviersitätsmitgliedern jedoch warf er ihre jüdische Abstammung vor.

War Heidegger ein nationalsozialistischer Philosoph? Dazu müsste zunächst die selbst zutiefst philosophische Frage diskutiert werden, ob die Denker ihre Zeit oder die Zeit das Denken konstituieren. Heidegger war vermutlich kein nationalsozialistischer Philosoph, das käme einer krassen Verflachung seines Denkens gleich. Er ist wohl auch nicht unter die Vorläufer oder Stichwortgeber des NS-Gedankenguts zu reihen, eher hat er selbst manche Stichworte der Bewegung aufgenommen. Zu untersuchen wäre, welche Ursachen seine Hinwendung vom Individuum zum Volk gehabt haben mag.

Viel wichtiger aber ist die Frage: was taugt die Philosophie Heideggers in einer Zeit, die sich der Metaphysik und der puren Spekulation entledigt hat? Heideggers Einfluss in der Philosophie ist in seinen Spuren im Denker anderer manifest geworden, doch das kann man von Hegel auch sagen.

Interessanter ist in diesem Zusammenhang wohl die Biografie von Anton M. Fischer: Martin Heidegger. Der gottlose Priester. Psychogramm eines Denkers.
Anton M. Fischer - Martin heidegger. Der gottlose Prieser. ein Psychogramm eines Denkers
Heidegger ist auf dem Weg zum Priesteramt abgebogen und Philosoph geworden, um sich alsdann zum Propheten seiner eigenen immer verquereren Ideen zu wandeln, nachdem er am Plan, ein Unding wie das Sein des Seins zu fassen, kläglich und eingestandenermaßen scheiterte. Eingehende Besprechung hier.

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