Gräßliche Hitze in der Stadt! Also raus ins Grüne, kühlen Schatten suchen, gekühlten Wein, einen kühlenden Luftzug vom Keller her… Und geht alles von selber: es trübt sich ein, zunächst drückt die Schwüle, dann fällt die Temperatur, es tröpfelt ein Wenig aus schweren, schwarzen Wolken. Die Luft ist auf einmal angenehm geworden. Unter der Pergola liest sich’s gut.
Also wieder Kierkegaard, „Furcht und Zittern“:
Wer nicht arbeiten will, der bekommt sein Brot nicht, sondern wird betrogen, wie die Götter Orpheus mt einer luftigen Gestalt an Stelle der Geliebten betrogen haben, betrogen, weil er zärtlich, nicht mutig, war, betrogen, weil er Zitherspieler, kein Mann war. Hier hilft es nichts, Abraham zum Vater zu haben oder siebzehn Ahnen, wer nicht arbeiten will, auf den trifft zu, was von Israels Jungfrauen geschrieben steht, er gebärt Wind, aber wer arbeiten will, der gebärt seinen eigenen Vater.
Kierkegaard beschreibt die äußere Welt und setzt ihr die Welt des Geistes entgegen, in der es eben nicht auf die Gerechten und die Ungerechten gleichermaßen regnet, in der nicht sein Brot bekommt, wer auch nicht arbeitet. Er versucht uns zu erklären, was es mit der Geschichte von Abraham, der seinen Sohn Isaak opfert, auf sich hat, warum es nicht bloß eine veranscheuenswürdige Tat ist, oder wenn schon keine Tat, weil in letzter Sekunde verhindert, so doch ein schrecklicher Plan: den eigenen Sohn zu töten auf Geheiß Gottes.
Wie Kierkegaard richtig erkannte, besteht die Diskrepanz im Widerspruch zwischen dem moralischen Empfinden und dem Glauben:
Wenn nämlich der Glaube weggenommen wird, indem er zu null und nichts wird, dann bleibt nur das rohe Faktum übrig, dass Abrahm Isaak morden wollte.
Man kann gern und gut eine halbe Ewigkeit diskutieren, welche historischen oder kulturhistorischen Hintergründe in der biblischen Geschichte fortwirken, welche moralischen und religiösen Normen dazumal vielleicht in Geltung standen, oder auch, wie dieser Gott den Menschen nicht einen Mord sondern ein Gleichnis aufgeben habe wollen – es ist und bleibt vollkommen unabhängig von seiner historischen Einbettung eine Grundfrage, eine Disputationsgrundlage, aber vor allem: eine entscheidende Kreuzung. Kann ein Auftrag Gottes es rechtfertigen, einen Menschen zu ermorden?
In dieser monotheistisch eschatologischen Formulierung klingt es wie etwas, über das man noch diskutieren könnte, wie eine Entgegensetzung von Diesseits und Jenseits. Die reale multikulturelle Welt verlangt aber nach einer multizentristischen Formulierung: Kann ein Auftrag eines Gottes es rechtfertigen, einen Menschen zu töten?
Hier müssen wir einfügen: irgendeines Gottes. Denn ein jedes glaubende Lebewesen wird doch das Recht haben, an seinen oder ihren je individuellen Gott zu glauben. Die uns umgebende Welt fordert dies, trotz den Versuchen aller Priester zu allen Zeiten, andere von der Suprematie des eigenen Gottes zu überzeugen, nötigenfalls mit Gewalt. Wenn es aber recht beliebig ist, an welchen Gott der oder jener glaubt, dann ist es schwer, den Vorrang dieser Götter vor den Menschen anzuerkennen.
Das Interessante dabei ist, dass die weitere Geschichte der Moralphilosophie Kierkegaard den Vorwurf des moralischen Nihilismus macht: gerade ihm, der an etwas glaubt! Doch es ist seine fundamentale Ablehnung der Gültigkeit moralischer Grundsätze – sie gelten nur insoferne, als Gott, mithin: der unter der Masse an Göttern zufällige Gott Kierkegaards, sie begründet. Denkern wie ihm täte ersichtlich Kühlung not.