In diesem Europa wird – vor allem in bewusst oder unterbewusst islamophoben Kreisen – viel von der christlichen Natur Europas geredet. Vermutlich ist es aber eher so, dass die christliche Komponente in diesem Europa eine Verirrung ist. Das eigentliche Projekt Europas ist die Aufklärung.
Der Hamburger Sprach- und Literaturwissenschafter Manfred Geier hat sich in seiner Monografie Aufklärung: Das europäische Projekt einigen Aspekten dieser für unsere Gegenwart zentralen Strömung angenommen und zeigt, dass es sich keineswegs um eine historische und damit vergangene Epoche handelt sondern um ein Projekt, das letztendlich Konstitutiver für unser heutiges Europa – und vielleicht den Westen – ist, als man das dem Christentum zuschreiben kann.
Geier bemüht sich um eine exemplarische aber breite Darstellung: so kommen nicht nur zentrale Figuren und Ideen zur Sprache – Locke, Voltaire, Rousseau, die Enzyklopädisten und Moses Mendelssohn, bis hin zu Kant – sondern auch gemeinhin randständiger behandelte Anliegen wie das der Frauenrechte, personifiziert in der Olympe de Gouges.
Einen meist vernachlässigten Aspekt arbeitet der Autor an der Persönlichkeit des Earl of Shaftsbury Anthony Ashley Cooper heraus: der stellte sich der Frage Darf man über religiöse Schwärmer spotten? und befürwortete schlussendlich das Lachen in Angelegenheiten der Religion, wenn auch vorsichtig. Man sollte Shaftsbury heute gerade im Zuge der Toleranzdebatte wieder vermehrt zu Rate ziehen. Nicht alles, was irgendwer inbrünstig glaubt, ist deswegen ernst zu nehmen.
Umgekehrt fehlen in dem Buch viele wichtige Personen: Rousseau, der eigentlich der Totengräber der Aufklärung ist, wird ausführlich gewürdigt, Hume dagegen kommt nur sehr am Rande vor. Die radikalen Aufklärer erhalten zu wenig Raum, dafür wird der vergebliche Versuch Mendelssohns, den Deutschen Aufklärung beizubringen, recht breit abgehandelt. Immanuel Kant wird – ganz zu recht – vor dem ihm nachfolgenden und sich auf ihn berufenden Idealismus in Schutz genommen und für die Aufklärung reklamiert.
Ein schnelles Buch, gut zu lesen, und damit selbst ein Stück Aufklärung, das durchaus für den Gebrauch breiterer schichten tauglich wäre. Gerade die Frücht der Aufklärung machen unser Europa zu dem, was es heute ist. Das geht in der aktuellen Debatte um christliche Werte und das Vordringen des Islam gewöhnlich unter: wir hätten eine Tradition aufklärerischer Errungenschaften zu verteidigen…