Radikal vereinfachte Leckerbissen

Die Auswahl der Stücke in der Kammeroper bewegt sich stets zwischen ausgefallen und hochkarätig, wenn es auch natürlich Voraussetzung ist, dass die Werke mit kleinem Ensemble zu machen sind. Für die letzte Premiere dieser Saison hat sich ihr musikalischer Leiter Daniel Hoyem-Cavazza zwei wahrhaft exquisite Stücke der klassischen Moderne ausgesucht.

Darius Milhaud, Mitglied der progressiven Groupe des Six in den Zwanziger Jahren, schrieb seinen Einakter Le pauvre matelot im Bestreben um einfache Musik, welche durch hohe Präzision und klare Melodik in äußerster Konzentration gekennzeichnet ist. Auch der Stoff der Oper ist dramatisch minimalisiert und zugespitzt: der Matrose war lang weg, als er zurückkehrt, ist er sich der Treue seiner Frau nicht sicher; er prüft sie, indem er sich als sein eigener Freund ausgibt und bei ihr nächtigt – da er zu Geld gekommen ist, aber vom Elend des vermeintlich noch gefangen gehaltenen Ehemanns berichtet, bringt die Frau ihn seines Geldes wegen um.

Auch der Amerikaner George Antheil lebte in den Zwanziger Jahren in Paris und geriet in den Bannkreis der Groupe des Six. Seine dreiaktige Oper Venus in Africa schrieb er allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg, jedoch nach wie vor stark unter dem Eindruck seiner Pariser Jahre. Auch hier ist die Handlung minimal und stark komprimiert: ein Paar gerät beim Aufenthalt in Tunesien aneinander, sie wirft ihm vor, ihr nicht zu vertrauen, obwohl sie doch Mann, Hündchen und New Yorker Wohnung seinetwegen verlassen habe, er aber zweifle beständig an ihr. Also verlässt sie ihn und nimmt als sein Abschiedsgeschenk Geld, das er von einem Schwarzmarkthändler gekauft hat. Eben dieses Geld bringt sie wieder zurück, da es sich als Falschgeld erweist. Inzwischen hat der Mann der Göttin Venus sein Leid geklagt und sie ist ihm erschienen und fleischlich geworden. Da kommt die Frau zurück, es gibt Streit – aber plötzlich ist das Geld wieder echt und sie vereinen sich in einem spontanen Happy End.

Dem lapidaren Geschehen steht eine mit Elementen des Jazz gewürzte unkomplexe Musik gegenüber, die vom Ensemble der Wiener Kammeroper exakt und trotzdem nicht unterkühlt aufgeführt wird.

In beiden Werken singen die New Yorker Sopranistin Diana Higgs und der Argentinier Pablo Cameselle sowie der Wiener Bariton Andreas Jankowitsch und der amerikanische Bass Mentu Nubia. Die Venus singt die bezaubernde Iranerin Nezanin Ezazi mit ganz ausserordentlicher Anmut.

Die kleinen Werke, die in der Kammeroper regelmäßig auf dem Programmzettel stehen, gehören ganz eindeutig zu den unverzichtbaren Angeboten des Opernlebens dieser Stadt, sie sind die unbekannten Leckerbissen des Menüs, darum aber keineswegs verzichtbar.

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