Die Behauptungskraft des Werks

Opern als musikdramatische Werke müssen sich bisweilen sehr gegen ihre Inszenierung zur Wehr setzen – die meisten jedoch beweisen dabei seit Jahrzehnten eine enorme Beharrungskraft. Und bei einem Meisterwerk wie dem Don Giovanni des Wolfgang Amadé Mozart darf man getrost davon ausgehen, dass es das auch schafft.

Dabei passiert es nicht bloß, dass ein Werk gegen den Strich gebürstet wird – das allein ist noch kein Fehler, muss keiner sein. Das wirklich schlimme Verbrechen der Regie ist das der Belanglosigkeit: und bei einem Don Giovanni heißt das, ihn so auf die Bühne zu stellen wie das in tausenden Bezirksopernhäusern der Welt tagtäglich geschieht. Was wiederum nicht den Bezirksopernhäusern zum Vorwurf gereicht, bei denen man schon froh sein muss, wenn es musikalisch passt, sondern den sogenannten bedeutenden Opernhäusern, die damit weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Dabei ist die Fallhöhe von einem weltweit allerersten Haus wie der Metropolitan Opera in New York – kurz der MET – naturgemäß besonders hoch. Und er tut natürlich weh, dieser Fall.

Was ist also das Verbrechen, das man Regisseur Michael Grandage – in böswilliger Verschwörung mit Bühnenbildner Christopher Oram – vorwerfen muss? Da ist nichts, was nicht das Landestheater St. Pölten auch zustande brächte, wer immer dort die Regie führt. Ein Sänger, eine Sängerin tritt auf, singt, tritt wieder ab. Hätte Mozart nicht reichlich Duette, Terzette und Ensembles in die Partitur geschrieben, man wähnte sich in einem Liederabend.

Es ist zu konstatieren: der Herr Regisseur weiß mit seinen Figuren nichts anzufangen.

Zweitens: die Zeichnung der Personen bleibt schablonenhaft. Es liegt an der Spielfreude der einzelnen Künstler, ob sie Facetten der Figuren heraus arbeiten, oder ob sie gelangweilt herum stehen.

Das reicht vom szenisch äußerst matten Don Ottavio des Paul Appleby, der den Eindruck erweckt, als stehe bei ihm noch das Bewältigen der Partitur im Vordergrund, bis zum grandiosen Simon Keenlyside, der dem Don Giovanni ein wahrhaft lebendiges Gesicht verleiht: er ist der alternde Freigeist und Frauenheld, der’s auch an diesem Tag noch einmal wissen will, der die Widersprüche zu dieser Gesellschaft schon so weit ausgelotet hat, dass ihm nur noch das Kräftemessen mit Tod und Gott verbleibt. Genau das alles schillert in dieser Figur, das alles glaubt man dem Sänger.

Bei den Frauen ist’s nicht viel anders: die quirlige Malin Byström verleiht der Donna Elvira jenen tiefen seelischen Resonanzraum, in dem das gesamte Spektrum von rasender Eifersucht bis zur verzweifelt liebenden Selbstaufgabe sich entfalten kann – und es auch tut. Dagegen bleibt die Donna Anna von Hibla Gerzmava hinter allen Möglichkeiten zurück und hölzern, mit viel Schmelz zwar, aber weder im Zorn noch im Schmerz, noch in der Perfidie dem Bräutigam gegenüber irgendwie lebendig. Ihren besten Moment hat sie gleich am Anfang, als Don Giovanni sich ihrer Umarmung entwindet. Danach kommt nichts mehr.

Von ganz anderem Schrot und Korn – und das muss in der Rolle des Leporello auch sein – agiert Adam Plachetka die hintergründige Durchtriebenheit des Domestiken aus, vom zaghaften Aufbegehren über die Resignation des Untergebenen dem durchgeknallten Herrn gegenüber bis zum vollmundigen Heldenmut, wenn er mal alleine ist – das ist großes Kino auf der Opernbühne.

Im Rahmen ihrer Rollen liefern Matthew Rose als Masetto und Serena Malfi als Zerlina gelungene Impersonationen des niederen Personals, sie sogar mit einer spitzmausgesichtigen Durchtriebenheit, die der Seele des Bauernmädchens eine Art doppelten Boden verleiht, durch den fast zeitgleich ein Abenteuer mit Don Giovanni und eine brave Ehe mit dem schlichten Masetto passen.

Man weiß halt nicht, soll man diese sehr disparaten psychologischen Zeichnungen der Arbeit der Darsteller an ihren Figuren oder der Hand der Regie zuordnen: ich tippe auf ersteres, weil wir keine verbindende Linie noch sonst an diesem ganzen Abend irgend eine Spur von der Hand eines Regisseurs zu sehen kriegen. Sollte es einen weiteren Beweises bedürfen: so etwas wie szenisch motivierte Bewegung kommt nur in der Interaktion von Don Giovanni und Donna Elvira auf.

A propos Abend: es ist am Ende ein gar köstlicher, und das lag neben der hoch zu schätzenden psychologischen Zeichnung der Figuren durch ihre Sängerinnen und Sänger – zumindest der meisten – an der kompetenten Führung durch Fabio Luisi, für den der Sprung vom ORF Radio-Symphonie-Orchester an die MET ganz und gar nicht zu weit gewesen ist. Er dirigiert seinen Mozart grade richtig, kein Geschludere, wie es diese Perlenkette von Gassenhauern leicht herausfordern könnte, wenn auch eher traditionell.

Über den Komtur gibt es nicht viel zusagen, als dass ihn Kwangchul Youn singt. Von einer Statue ist da nicht mehr zu wollen.

Wäre nicht Simon Keenlyside, den ich hiermit in die Reihe der ganz großen Don Giovannis einreihe, müsste man aber sagen: das Ganze ginge nicht minder gut von der CD. Leider.

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