Ich habe schon lange nicht mehr so köstlich gelacht wie bei dieser Biografie des großen Marx: der deutsche Publizist Leopold Schwarzschild veröffentlichte 1947 sein Buch Der rote Preusse. Leben und Legende von Karl Marx. Hier öffnet sich eine wenig respektvolle Aufrollung eines recht erfolglosen Lebens, rekonstruiert aus den unzähligen Briefen, die just in einer Ausgabe des Moskauer Marx-Engels-Instituts um 1930 erstmals vollständig und unzensiert zugänglich gemacht wurden – ein echter Treppenwitz der Geschichte: denn in diesen Briefen findet sich unendliches Material, um den Säulenheiligen des Sozialismus als garstigen Geiferer, besessen von einer fixen Idee wider jede Realität, darzustellen.
Obendrein finden sich darin unzählige Stellen, die Marxens wissenschaftliche Qualität in seinen eigenen Worten untergraben. Schwarzschild ist es zu danken, sich diesen Wust ärgsten Stoffes durchgesehen zu haben und ihn uns in sehr lesbarer Form zu präsentieren.
Hier begegnet uns ein Marx, der als junger ein nicht unintelligenter Bursche gewesen sei, aber kein Freund des Studierens. Was sich bis dahin auswuchs, dass er recht spät erst promovierte: nachdem er längst schon sein Studium aufgegeben hatte, reichte er eine Dissertation an der Universität Jena im Großherzogtum Weimar ein – denn es war offenes Geheimnis, dass man dort seinen Doktorhut rein brieflich, also ohne das dem jungen Marx ganz und gar lästige Examen, erwerben könne. Und tatsächlich, Marxens Doktordiplom wurde ohne weitere Formalitäten in absentia ausgestellt und postalisch zugeschickt. Ein guter Start für einen Wissenschafter!
In Fritz J. Raddatz Karl Marx. Der Mensch und seine Lehre findet sich dazu gleich auch ein Zitat aus dem Verleihungsschreiben der „ausländischen“ Fakultät:
Das Specimen zeugt von ebensoviel Geist und Scharfsinn als Belesenheit, weshalb ich den Kandidaten für vorzüglich würdig halte. Da derselbe nach seinem deutschen Schreiben nur die Doktorwürde zu erhalten wünscht, so ist es wohl nur ein Irrtum, entsprungen aus der Unbekanntschaft mit den Statuten der Fakultät, dass er in dem lateinischen Schreiben von der Magisterwürde spricht. Wahrscheinlich hat er geglaubt, beides gehöre zusammen.
Das ist natürlich einem dem linken Gedankengut weniger ehrfurchtsvoll zugetanem Autor wie Schwarzschild ein gefundenes Fressen: dem Polemiker Marx, der zeit seines Lebens anderen gern mit allerhand Untergriffen am Zeug flickte, selber ein wenig am Zeug zu flicken – mit dem Unterschied allerdings, dass er seine Belegstellen aus der reichen Korrespondenz des Herrn Marx höchstselbst genauestens dokumentiert, wohingegen Marx in seinen politischen Kämpfen zumeist mit unbewiesenen Vorwürfen agierte.
Dieser nutzlose Student wird sein Lebtag kein ernsthaftes Einkommen erwirtschaften: er lebt von Spenden, im Vorgriff auf sein Erbe von der Expropriation seiner Mutter, vom Schuldenmachen beim Onkel in Holland – und natürlich von Freund Engels, der sich der Ochsentour vom Kommis zum Prinzipal der Firma Ermen und Engels unterzog, da irgendeiner ja ausser der Revolution auch das Beschaffen des täglichen Brots zu betreiben hatte… Der griff sogar einmal in den Kassenschrank der Firma, um Marx aus der finanziellen Breduille zu helfen!
Wahrhaft köstlich ist aber die lange Reihe jener europäischen Ereignisse, sei es der wirtschaftlichen Entwicklung, die dann und wann stotterte, oder der politischen, die von Jahr zu Jahr, von 1848 bis ans Lebensende von Marx im Jahre 1883, jeweils Anlass zur unfehlbaren wissenschaftlichen Prognose gaben, dass nun endlich der Kapitalismus am Ende wäre und die Revolution sich ereignen würde.
Wenn schon die Revolution 1848 vorübergehend schiefgegangen war, so musste sie doch unzweifelhaft 1849 kommen! Denn die Wissenschaft des Herrn Marx sagte sie unabwendbar voraus! Und natürlich, wenn sie dann 1849 doch nicht kam, so musst zweifellos 1850 das Jahr der Revolution sein
Wir erraten es: nach vielen vielen Jahren ist es 1872 dann soweit, dass die Revolution unzweifelhaft ausbricht, die wirkliche Revolution, welche endlich die Arbeitsklasse über die Bourgeoisie triumphieren läßt. Nun, dann eben 1873. Oder 1874…
Marx und Engels ähneln dabei anfangs jenen Messiasgläubigen, die es zu allen Zeiten gegeben hat, in deren massivem Glauben die nahende Erlösung oder der vor der Tür stehende Weltuntergang so zentrale Bedeutung haben, dass sie jedwede Logik fahren lassen. Die meisten von ihnen werden, wenn sie erst einmal einer genauen Prognose eines Termins vertraut haben, der dann nicht hält, desillusioniert oder haben wenigstens die Größe, ihren Propheten in den Freitod zu folgen. Nicht so die Herren Marx und Engels, nicht so die Marxisten, die ihner Wissenschaft blind vertrauen.
Überhaupt ist es mit Marxens Wissenschaft nicht besonders weit her: es ist ja beileibe nicht so, dass er das Kapital schrieb, weil er was zu sagen gehabt hätte! Er hasste die ökonomische Schweinerei beträchtlich, nahm mehrmals Anlauf, um sich immer wieder überfordert vom Thema abzuwenden. Zuletzt ließ er nach Erscheinen des ersten die Bände zwei und drei einfach liegen, weil er keine Lust mehr hatte. Aber immerhin hat er das Kunststück zuwege gebracht, sein großes ökonomisches Werk drei mal an einen Verleger zu verkaufen, ohne es jemals zu liefern.
Entlarvend ist die Motivation, es zu schreiben: er behauptete seit den vierziger Jahren vehement die einzige wissenschaftliche Autorität der Ökonomie zu sein, der einzige, der die Gesetze der wirtschaftlichen Entwicklung durchschaut habe; allein, er konnte das allenthalben erzählen, aber natürlich nicht beweisen. Ja, nicht einmal ein Buch hatte er, um es denen zu zeigen, die an ihm zweifeln mochten. Marx produzierte Behauptungen am laufenden Band, blieb jedoch jede Erörterung schuldig, von Beweisen gar nicht zu reden.
Engels war sich der zentralen Bedeutung eines solchen Buches bewußt und drängte Marx dazu, es zu schreiben; aber auch Engels war auf den alten Nichtstuer hereingefallen: es gab nichts, keine Beweise, keine ausformulierte Theorie, ja nicht einmal eine ernstzunehmende Beschäftigung mit dem Thema. Marx‘ Studien in der Bibliothek des Britisch Museum dienten eher dazu, der verrauchten und kohlegeschwärzten Enge seiner erbärmlichen Unterkunft zu entfliehen, wo er mit Frau und Familie hausen musste, da er sich stets weigerte, mit irgendetwas Geld zu verdienen. Die kargen Früchte seines Bibliotheksstudiums finden sich in den seitenlangen Exzerpten wieder, welche die soziale Lage im England des Jahrhunderts vor Marxens eigenen Tagen illustrieren. Ein Wenig hat er ausgewählte Theoretiker wie Adam Smith und David Ricardo gelesen – und, letzteren vor allem, geplündert.
Wenn schon philosophisch wie ökonomisch bei Marx nichts zu holen ist, dann ist es wenigstens eine erheiternde Geschichte, seine Biografie zu lesen – so man sich Leopold Schwarzschild anvertraut. Man muss dabei allerdings ausblenden, wie viele Millionen von Menschen der Unsinn, den dieser Mensch verbreitete, das Leben gekostet hat.