Man kann seinem treuen Publikum wohl kaum deutlicher die Größe der Opernreform, die jener Christoph Willibald Gluck 1762 zu Wien – wenn auch nicht im gleichen Haus – in Szene und Welt setzte, vor Ohren führen, als es das Theater an der Wien diesmal mit der Premierenfolge von Händels Ariodante und Orfeo ed Euridice getan hat:
Händels Werk, das wahrlich seine Meriten hat, wirkt dagegen aufgeplustert, papieren, manieriert und vor allem irgendwie – wenn schon nicht fad so doch – blasiert… Vielleicht ist es barock im schlechten Sinne des Worts. Denn es steht eben für jene überzogenen und im Formalen erstarrten Auswüchse der italienischen opera seria. Vollkommen anders bei Gluck.
Als damals wie heute der Vorhang aufging, entrollte sich eine knappe, von Gesang statt Rezitativen getragene, kaum affektierte Geschichte in Kammerspiel-Besetzung, die man als den eigentlichen Beginn dessen ansehen muss, was man heute mit Begeisterung Oper nennt. Mit nur drei Personen und einem lebendigen Chor schuf Gluck ein kurzes, aber dafür von jeglichem Gramm Fett und Ballast befreites Meisterwerk, anders kann man das nicht nennen.
Nun ist es beileibe nicht so, dass allein die Übernahme von Elementen der tragédie lyrique im Gefolge von Lully – am augenfälligsten: Chor und Ballett, aber auch die Behandlung der Gesangsnummern – das besondere Neue konstituierte, sondern genausogut die allmählich auch im italienischen Repertoire sich ausbildenden deklamatorischen Arien – anstelle der unsäglichen Da-Capo-Form, die noch bei Händel bandwurmartig das Werk durchzieht – zu einer frühen Blüte führte.
Das Freiburger Barockorchester unter der Leitung von René Jacobs musizierte eine überaus tragfähige Basis, dezent, aber ohne unterzugehen, auf der die Protagonisten das Kammerspiel von Liebe, Leid und Erlösung spielen konnten.
Ich kann ehrlicherweise Countertenöre nicht beurteilen, ich halte diese Stimmlage für ein Relikt aus der Musikgeschichte – und kann ihnen auch wenig abgewinnen. Bejun Mehta hatte jedenfalls beinahe ununterbrochen zu tun: dem Orfeo gehört fast das gesamte Stück.
Hervorragend – aber eben viel weniger präsent – der Amore, den die Koreanerin Sunhae Im nicht nur treffsicher sang sondern auf eine putzige Art elegant verkörperte, und natürlich Euridice: die Schwedin Miah Persson war zwar die längste Zeit über rollenmäßig tot, in ihren lebendigen Momenten aber einfach hinreissend.
Die Regie hat es bei so einem musikalisch dichten, handlungsmäßig aber eher dürftigen Spiel naturgemäß nicht leicht – wäre nicht das schlicht blödsinnige Bühnenbild von Benoît Dugardyn gewesen, man könnte rundum zufrieden sein. Die Bühne stellt eine recht klotzige Nachahmung des Musikvereinssaals vor, wobei dem Gestalter bei der im Grunde überflüssigen Beschriftung mit Komponistennamen auch Millöcker – dies der Faux pas – und Schoenberg – dies der in die Zukunft greifende Anachronismus – untergekommen sind. Warum schreibt er da was hin, wenn er sich nix dabei denkt?
Sowohl als Ballettersatz als auch in sanglicher Hinsicht erwies sich der Arnold Schönberg Chor als Stütze des Ensembles, schon allein deshalb, damit vor lauter Frauen- und Kastratenstimmen auch die unteren Register bedient werden.
Seltsam war eigentlich nur der hatscherte Pas de Deux von Euridice und Orfeo am Schluss, wo Gluck in bester französischer Tradition eigentlich ein Ballett hinkomponiert hat. Vielleicht ist es auch nur so, dass halt irgendwo gespart werden muss…
Ein Gedanke zu “Orpheus und die Reform”