Noch mal Mittelalter – obwohl es langsam fad wird: Kirche, Kirche, Kirche, was anderes scheint es dazumal nicht gegeben zu haben.
Der amerikanische Mediävist Patrick J. Geary hat sich einer der dunkelsten Epochen der europäischen Geschichte angenommen: Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen ist eine knappe aber ausreichende Darstellung des jahrhundertelangen Nichts, das sich mit dem Untergang des Weströmischen Reichs über unseren Kontinent gebreitet hat.
Geary folgt jedoch in seiner einleitenden Darstellung, worin dessen Untergang begründet gelegen habe, der alten Ansicht, wie sie von Edward Gibbon entwickelt wurde – wenngleich die Forschung da schon einen neueren Stand erreicht hat, auch wenn man nicht anstandslos Peter Heathers Deutung folgen muss. Eine gewisse Einigkeit besteht aber darin, dass die Düsternis der nachfolgenden Jahrhunderte nicht den einströmenden Barbaren anzulasten ist.
Die Barbaren kamen bereits in einem vor-assimilierten Zustand, hatten in langjähriger Nachbarschaft zu den Römern – oder den romanisierten Provinzbevölkerungen – die Segnungen einer höheren Kultur kennen gelernt. In der Folge jedoch entstand eine Mischung, die einerseits die Barbaren weiter den Römern anglich – und andererseits die Römer barbarisierte. Vor allem der ländliche Großgrundbesitz behielt in seiner isolierten Lebens- und Wirtschaftsweise das Gepräge der vorangegangenen Zivilisation noch vergleichsweise lange bei – für einige von ihnen hatte sich eigenem Bekunden nach nichts geändert, obwohl sie sich nunmehr als Untertanen eines neuen Königs und anderen Reichs wieder fanden.
Der Niedergang scheint aber einer der Zentralgewalt gewesen zu sein, damit der Instandhaltung von Infrastruktur und Verbindungen, wie sie die römisch beherrschten Jahrhunderte ausgezeichnet hatten. Aus einem hochgradig vernetzten und intensiv interagierenden Imperium fand man sich plötzlich ausgeschlossen. Die Inseln der Kultur trockneten allmählich aus – ein Weniges davon verlagerte sich in die Klöster, wo es seiner endgültigen Vernichtung durch die aufsteigende weltliche Macht der Bischöfe harrte.
Waren diese Bischöfe zunächst Adlige, die sich der einflussreichen klerikalen Positionen für ihre Familien versicherten, so entstand ab dem 6. Jahrhundert langsam ein weniger weltlich denn christlich geprägter Klerus.
Die Merowinger selbst waren ein nur in wenigen ihrer zahllosen Herrschergestalten erfolgreiches Geschlecht – meist lagen sie untereinander in Streit, das Reich wurde bisweilen geeint und doch immer wieder in mehrere Erbschaften geteilt. Das Modell gemeinsamen Regierens funktionierte im Grunde nie, die Fehde lag diesen Merowingern zu stark im Blut.
Neben klaren Gedanken enthält das – in dieser Hinsicht: zum Glück – schlanke Büchlein ein Übermaß an Kirchengeschichte – doch liegt das vermutlich in der Natur der Epoche, aus welcher sich kaum säkulare Quellen erhalten haben. Sogar die zahllosen vitae und gestae der Herrscher sind von Mönchen und Bischöfen verfasst. Sonst scheint niemand mehr des Lesens oder Schreibens kundig gewesen zu sein.
Damit ist die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem Verlust einer bereits erklommenen zivilisatorischen Höhe nach wie vor unbeantwortet.