Stoff für eine Heldengalerie

Unter dem Titel Aufklärung wird ja vieles verbucht, neben der Philosophie auch Strömungen der Literatur in einigen Ländern Europas. Meist fallen dazu Voltaire oder gar Rousseau ein – wobei der erste ein Bremser in Sachen Aufklärung gewesen ist und der zweite ihr Totengräber.

Der Wiener Historiker und Autor Philipp Blom hat sich einer kleinen, aber für die französische Aufklärung des ancien régime zentralen Gruppe angeommen: Böse Philosophen: Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung meint die Riege radikaler Aufklärer, die von Voltaire so genannte coterie um den Salon von Baron d’Holbach um die Mitte des 18. Jahrhunderts.

Philipp Blom - Böse Philosophen. Ein Salon in paris und das vergessene Erbe der Aufklärung

Hier versammelten sich Denker, Dichter, Wissenschafter und Künstler – manche von ihnen gleich in mehreren Bereichen aktiv und erfolgreich -, um in offener Atmosphäre Dinge zu diskutieren, die außerhalb des Salons die Freiheit oder sogar das Leben kosten hätten können: denn nicht nur wurde an der existierenden Kirche Kritik geübt, wo vor der Revolution durchaus vieles zu beanstanden war, sondern gleich die Existenz Gottes angezweifelt.

Nicht verwunderlich ist es daher, dass die essentiellen Veröffentlichungen aus diesem Kreis zunächst anonym erschienen – und im Ausland gedruckt und eingeschmuggelt waren. Dennoch landete eine der zentralen Figuren des Kreises im Gefängnis: Denis Diderot, der die erste moderne Encyclopédie herausgab, durfte einige Zeit in Vicennes einsitzen, nachdem man ihm den anonym publizierten Brief über die Blinden zuzuordnen vermochte.

Es war eine Zeit, in der Leute noch gefoltert und verbrannt oder sonstwie grausam ums Leben gebracht wurden, wenn sie sich gegen die herrschende Lehre der Kirche äußerten. Und es ist eine der für uns bis heute wirksame Leistung dieser Menschen, dass sie sich niemals davon abhalten haben lassen, das Gedachte und im familiären Kreis des Holbach’schen Salons auch Ausgesprochene in Buchform unters Volk zu bringen. Leider ist vieles davon auch heute noch rar und bestenfalls antiquarisch zu kriegen – die Werke des Paul Thiry von Holbach, eines Deutschen, der sich in Paris Baron d’Holbach nannte und einige dezidiert atheistische Schriften verfasste.

Beim Atheismus dieser Denker ging es niemals um bloße Ablehnung von Kirche und Religion sondern um die Beförderung logischen und wissenschaftlichen Denkens. Sie standen dabei durchaus in einer Tradition, die aus der Antike stammte und über Descartes und Spinoza in ihre Gegenwart kam, doch ist ihnen vor allem das Bemühen um eine Fundierung der Erkenntnis über die Welt jenseits aller Metaphysik zuzuschreiben.

Diese Leute gerieten bis heute weitgehend in Vergessenheit, da sich die unselige Bewegung der Romantik mit überbordender Gefühlsduselei in den Vordergrund schob, an deren Anfang einer steht, der noch bei Holbach verkehrte und mit Diderot befreundet war – aber sich mit so gut wie allen zerkrachte, auch mit David Hume, der während seines Pariser Aufenthalts gleichfalls dort verkehrte.

Philipp Blom hat eine fundierte Gruppenbiografie geschrieben, die auch den jeweils zentralen Gedanken und ihrer oft nicht auf den ersten Blick ersichtlichen Sprengkraft den gebührenden Raum lässt. Sein Buch ist durchwoben von einem hör- und spürbaren Bedauern, dass diese Bewegung rasch wieder erstickt wurde und manches Wesentliche bis heute einer eingehenden Diskussion harrt.

Insbesondere der von diesen Aufklärern vehement vertretene strikte Materialismus wird bis heute von allerhand dualistischen und in ihrer Basis idealistischen Strömungen kritisiert, obwohl doch die moderne Hirnforschung allmählich ans Licht bringt, dass es doch gut und gerne so sein könnte: da ist eine biologische Existenz, und die ist es auch, die denkt und all das hervorbringt – keine von ihr abgetrennte Seele, kein Reich der Ideen, und natürlich auch kein jenseits und kein Gott. Wozu denn auch. Heute wird immer wahrscheinlicher, dass da in der Tat sonst nichts ist als der Körper und dass es biologische Funktionen sind, die uns so hehre Dinge vorgaukeln.

Etliche der in dem Buch beschriebenen Denker gehören demnach in die Ahnen- und Heldengalerie unsere zum Glück endlich säkularisierten Zeitalters.

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