Zuerst einmal: Englische Oper, das ist – bis herauf zu Benjamin Britten – ganz einfach ein Unding. Die puritanischen Engländer hatten die meiste Zeit über, wenn sie nicht grade ein paar Jahre lang verrückt auf Händels Opern waren, für das Singen von Theatertexten wenig übrig. Was dabei einer Oper am nächsten kam, war die semi-opera, die mit Henry Purcell ihre äußerst kurze Blüte feierte. Dabei wurde in ein Stück Sprechtheater reichlich Musik eingebaut: Ouvertüren im französischen Stil, Ballettstücke, Arien, Duette und Chorpartien.
Im Theater an der Wien kann man sich davon überzeugen, dass die recht erheblichen Mengen kompositorischer Beiträge einer solchen Produktion zwar die Länge, aber nicht die Form einer Oper ergeben. Man spielt über 3 Stunden hinweg unter Hinweglassung des gesamten gesprochenen Textes die musikalischen Einlagen des Stücks The Fairy Queen – wie sie schon vor vielen Jahren Nikolaus Harnoncourt mit Barbara Bonney auf CD eingespielt hat. Das bringt viel wunderbare Musik und gar viele Gelegenheiten für die Sänger – aber eben doch keine Oper.
Das musikalische Konglomerat war auch nie als eine gemeinsame Masse gedacht: die einzelnen Einlagen in das Sprechstück hängen miteinander zusammen wie die Top 30 dieser Woche. Gar nicht.
Regisseurin Mariame Clément hat sich redlich Mühe gegeben, dem zerfahrenen Haufen Nummern mittels einer völlig neuen Handlung so etwas wie eine Geschichte einzupflanzen. Das kann man sogar – und erst recht in Anbetracht der Schwierigkeiten – als gelungen bezeichnen: Theatertruppe probt ein Stück, Weiblein und Männlein lieben kreuz und quer und vornehmlich aneinander vorbei. Also allemal Stoff für eine große Oper. Händels Librettisten hatten auch nicht mehr zu bieten.
Aber Händel komponierte Opern aus einem Guss, selbst da, wo er sich im Steinbruch eigener und fremder Werke bediente. Das fehlt bei Purcell leider ganz und gar und schmerzlich. Vor allem lässt sich mit dem recht hohen Anteil an Orchestermusik auch keine Handlung vorantreiben – nicht ungeschickt zwar umschifft von der zusätzlich herangezogenen Librettistin Lucy Wadham, die den Personen Gedankensplitter unterlegt, für uns sichtbar overhead projiziert. Das kommt aber nicht gegen ein Recitativ an.
Überdies merkt man, dass die musikalische Tradition, in der Purcell an diesem Punkte seines kurzen Lebens steht, noch gar nicht reif ist für die Erfordernisse der Opernbühne, jedenfalls gemessen an dem, was im barocken Frankreich oder Italien auf den Spielplänen stand. Da stehen kontrapunktisch ausdifferenzierte orchestrale Piècen, wie sie genauso gut am Hofe des Sonnenkönigs erklingen hätten können, neben mehrstimmigen Liedern – aber eben doch nur Liedern. Ensembles verkommen dabei zu pseudo-lustigen Wechselgesängen.
Wenn im dritten Akt die wundervolle Anna Prohaska das mit Koloraturen gespickte Ye genle spirits of the air singt, dann kommt endlich wahre Begeisterung auf. Dafür lasse ich die ganze Bonney-CD links liegen!
Wie überhaupt die Besetzung geradezu himmlisch wäre: Kurt Streit und Florian Bösch, aber auch Marie-Claude Chappuis und Rupert Charlesworth, dazu aus dem Jungen Ensemble Florian Köfler und Carolina Lippo… nicht zu vergessen, wie immer, der Arnold Schönberg Chor.
Unter Christophe Rousset musizieren verlässlich Les Talens Lyriques – alles zusammen ein Ensemble für eine prächtige Opernproduktion! Die nur leider mangels eines so zu nennenden Werkes ausfällt. So eine halbe Oper ist im Grunde keine Oper.