In der gegenwärtigen philosophischen Debatte um die Implikationen der Neurobiologie gewinnt man recht rasch den Eindruck, dass da von den beteiligten – der Einfachheit halber auf zwei reduzierten – Seiten das Terrain jeweils unterschiedlich definiert wird – sodass man keinen Ort hat, an dem man zusammentreffen könnte, um ein Gespräch zu führen.
Einserseits gelingt es den Neurowissenschaften inzwischen eleganter, grundlegende Fragestellungen der Moralphilosophie und der Erkenntnistheorie zu behandeln – wenn vielleicht auch noch nicht endgültig zu beantworten -, andererseits wird nahezu verzweifelt die Position verteidigt, die Hirnforschung könne zur Lösung philosophischer Probleme nichts beitragen (besonders tut sich hier Matthias Vogel hervor).
Im Wesentlichen geht es darum, Begriffe der Alltagspsychologie und Erkenntnisse der Neurowissenschaften gegeneinander antreten zu lassen. Das Beharren auf die Relevanz der Alltagspsychologie scheint dabei das zentrale Dilemma zu sein. Denn nur weil wir gewohnt sind, alltäglich von Bewusstsein und dergleichen zu reden, postulieren Vertreter der Philosophie des Geistes ein Erklärungsdefizit der Neurowissenschaften: selbst alles Wissen um die gehirnphysiologischen Abläufe würde es nicht ermöglichen, das Phänomen Bewusstsein zu begreifen oder zu erklären.
Diese Art. Philosophie zu treiben, geht davon aus, dass es genügt, ein Problem zu formulieren, damit es auch besteht. Doch die Kardinalfrage ist: was wird hier formuliert?
Bewusstsein, Denken und sogar die gesamte Philosophie sind Produkte des Gehirns – allerdings kann man sich schon auf den Sinn dieses Satzes nicht einigen. Denn während die Neurowissenschafter dieses Gehirn als jenes organische Zellkonglomerat identifiziert sehen wollen, das sich in unserem Schädel befindet, gehen die Philosophen – zumindest jene, denen Materialismus und Monismus ein Horror sind – von einem zusätzlichen geistigen Organ mit dem zufällig gleich lautenden Namen Gehirn aus.
Dabei tritt nun aber das gravierende Problem auf, dasss diese Phänomene zwar sprachlich manifest, aber keineswegs wissenschaftlich feststellbar sind. Das kann man so auslegen, dass die Neurobiologie es einfach noch nicht geschafft hat, etwa ein Bewusstsein zu lokalisieren und gewissermassen dingfest zu machen, oder dass das gar nicht geht, was wiederum zwei diametral gegenüber liegende Ursachen haben kann: es geht nicht, weil die Neurowissenschaften oder die Naturwissenschaften überhaupt dazu nicht in der Lage sind, oder weil es derlei Dinge nicht gibt.
Wenn allerdings behauptet wird, „Ich habe Bewusstsein von X“, dann sind an diesem Satz gleich mehrere Dinge erst zu definieren: was wäre „Ich“ und was wäre „Bewusstsein von X“? Wenn man davon ausgeht, dass diese Erscheinungen – nennen wir sie Phänomene des Denkens – nicht selbständig und unabhängig von einem denkenden Wesen existieren können, das sich wiederum in einer langen Reihe von Jahrtausenden erst aus relativ einfachen Vorformen entwickeln musste, ehe man eigentlich von der Evolution eines denkenden Wesens sprechen kann, dann ist fraglich, woher ein selbständiges Phänomen wie das Denken kommen mag, wenn es sich nicht aus der Evolution ebendieses Wesens erklären ließe.
Die Behauptung, die Phänomene der geistigen Welt liessen sich nicht auf die biologische Existenz zurückführen, ist vermessen; welche Genese käme dem Denken als eigenständigem Phänomen zu? Wo kommt es her und woraus und wann ist es entstanden, wenn nicht aus der Physiologie eines weiterentwickelten animalen Gehirns? Das sind nicht nur unbeantwortbare, sondern im Grunde gar nicht erst sinnvoll stellbare Fragen.
Rudolf Carnap hat sich in etlichen Texten schon zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts damit auseinandergesetzt, was er die Scheinprobleme in der Philosophie genannt hat.
Carnap hat im Aufsatz Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache darauf hingewiesen, dass ein großer Teil des Problembestands in der Philosophie daher zu rühren scheine, dass sich viele Denker durch die Verb-Form des Wortes sein zur Bildung von Scheinsätzen hinreissen hätten lassen: „Gott ist“, „X ist“ in der Bedeutung, dass X existiere. Doch sein gibt diese Bedeutung gar nicht her, denn in einem sinnvollen Satz kann die Kopula sein nur zur Verbindung mit einem Prädikat dienen, also in der Form „Gott ist groß“.
Im Falle von Bewusstsein ist es schwierig, Prädikate zu finden, die sinnvolle Sätze überhaupt zulassen; denn der Satz „Das Bewusstsein ist wach“ hat etwa keinen Inhalt, er ist eine Tautologie, indem der Zustand des „Wachseins“ ja ein Konstituens des Bewusstseinszustandes überhaupt sein soll. Versuche, „Bewusstsein“ zu definieren, führen zwangsläufig zurück auf einen Körper, dem die entsprechenden Eigenschaften anheften. Denn Wachsein etwa ist ein banal körperlicher Zustand; in dem der Bewusstlosigkeit etwa sind nachweislich viele körperlichen Funktionen abgeschaltet. Brauchen wir zur Erklärung der Bewusstlosigkeit ein Bewusstseinsphänomen oder ist die Reduktion körperlicher Funktionen schon die ganze Geschichte? Warum gehen mit dem Abschalten des Bewusstseins Abschaltungen körperlicher Funktionen einher, und zwar immer, wenn doch das Bewusstsein mit dem Körper gar nichts zu tun hat?
Es kann doch eigentlich nur sein, dass das Bewusstsein eine Funktion eines höher organisierten biologischen Lebewesens ist, die es entwickelt hat, um zu steuern und zu koordinieren – und, um bei Darwin zu bleiben, weil es sich laufend bewährt hat. Dazu braucht ihm keine Existenz als selbständige Entität zuzukommen. Komplexer Zustand des elektrochemischen Systems Gehirn wird als einziges Erklärungsmodell sinnvolle Sätze produzieren können.
Gibt es aber keine sinnvollen Aussagen über einen Gegenstand, dann ist natürlich fraglich, was von dem Gegenstand selbst zu halten wäre. Die bloße Mißbrauchsform des Verbs sein als eine Existenzbehauptung reicht nicht aus. Sätze, in denen „Bewusstsein“ vorkommt, und die nicht zugleich auf die biologischen Gegebenheiten eines denkenden Wesens rekurrieren, um ihre Wahrheit zu erlangen, sind als sinnvolle Sätze nicht formulierbar.
Insoferne zielt die logische Analysemethode nicht nur, wie von Carnap angewandt, auf die Metaphysik sondern mittlerweile auch auf die Erkenntnistheorie. Wo sie sinnvolle Sätze produziert, ist sie Naturwissenschaft. Wo sie versucht, nicht Naturwissenschaft zu sein, produziert sie keine sinnvollen Sätze.