Dass das Theater an der Wien seinen 2. Platz im Ranking Opernhaus des Jahres der Zeitschrift Opernwelt verdient hat, kann man als regelmäßiger Besucher dieses und anderer intenationaler Häuser nur fortwährend bestätigen. Wiewohl: man kann nicht überall sein.
Mit dem Frühwerk Tancredi von Gioachino Rossini ist wieder ein eindrucksvoller Beweis gelungen. Der dankt sich vor allem dem Komponisten – nicht umsonst vermochten schon die ersten Opern des jungen Rossini in vielen Ländern eine Rossini Mania auszulösen -, der seinem Personal trotz schwacher Konstruktion des Librettos eine so wunderbare Musik an den Hals geschrieben hat, dass es ihnen offenbar leicht fällt, zu brillieren.
Und das taten sie: Aleksandra Kurzak als Amenaide ist sicher der Star des Abends, auch wenn sie die dankbarste und sanglich reichhaltigste Rolle hat. Ihre jugendliche Frische, der Durchlauf aller Register von Übermut, über Verzweiflung und Schmerz bis in den dankbaren Triumph der Liebe in Rossinis erstem Schluss – dem Happy End von 1813 – ist sowohl hörens- wie sehenswert. Sie war schon im Sommer als Dona Ana mitreissend und bezaubernd, doch aus der Partitur des Tancredi erwächst ihr ein verdienter Triumph, die sich am Ende in einer wahrhaft stürmischen Bewunderung des Premierenpublikums äusserte.
Nicht minder phantastisch auch Colin Lee – der in der letzten Saison auch schon als Mitridate beste Figur machte -: kräftig im typisch italienischen Prahlertum, leise in den Tönen väterlicher Verzweiflung.
Da ich kein großer Freund von Countertenören und Altos bin, vermag ich wohl auch der Titelrolle – leicht indisponiert (was vorsichtshalber in der Pause angekündigt wurde) Vivca Genaux – und ihrem reduzierten stimmlichen Umfang wenig abzugewinnen. In der berühmten Auftrittsarie klang sie für mich völlig daneben – das liegt aber doch eher an meiner Hördisposition.
Wirklich gut, aber in ihren kleinen Rollen mit wenig zu sagen und zu singen versteckt, waren die Litauerin Liora Grodnikaite – als Isaura – und die bezaubernd jungenhafte Ruby Hughes als Roggiero – auf sie wenigstens darf man sich in der kommenden Produktion von Monteverdi’s Incoronazione die Poppea noch einmal freuen!
Einen karikaturhaft selbstherrlichen Orbazzano gab Konstantin Wolff.
Was den Abend aber ernsthaft zu einer Bezauberung der exquisiten Art machte, war die feine und detailgetreue Arbeit des Orchestre des Champs-Élysées unter René Jacobs. Nun sage einmal einer, der Stagione-Betrieb habe nicht den ungeheurer Vorteil, dass so viele verschiedene Klangkörper in ihren individuellen Spezialdisziplinen zu hören sind!
René Jacobs hat Großes geleistet: das Drama der Hauptpersonen wurde musikalisch auf die Bühne gebracht, wo die eher verworrene und teils wwirklich unklare Handlung des Librettos versagte. Und die Längen, die man diesem Tancredi nachsagt, waren in der Intensität des Musizierens keineswegs spürbar.
Kraftvoll und wie von Rossini in tragender Rolle vorgesehen setzte der Arnold Schoenberg Chor seine Marken: die stimmliche Masse des reinen Männerchors trägt manche Szene – Einstudierung von Erwin Ortner.
Die zum Schluss da und dort laut werdenden Missfallenskundgebungen zum Lead Team konnte ich nicht nachvollziehen: das Stück ist dramaturgisch schwach, doch war das unter der musikalischen Gewandtheit der Agierenden kaum zu bemerken. Wenigstens nötigte Regisseur Stephen Lawless – wie schon in der Gluck’schen Euridice – niemandem motivationsloses Auf- und Abtreten oder Kreislaufen auf.
Die Ergänzung von Regie und Austattung – Gideon Davey – klappte aber diesmal deutlich besser: dominiert von einer kolossalen Pferdestatue im ersten und deren Trümmern im zweiten Akt – bot die Bühne einen durchwegs logischen Raum für die Akteure, wenn auch schiefe Ebenen und hochhackige Schuhe manchmal zum Stelzen führen: doch das wurde zum Glück erst bei Auf- und Abmarsch der Vorhänge sichtbar; gestört hat es nie.
2 Gedanken zu “Stürmische Bewunderung für Amenaide”